Wartende Menschen auf Lampedusa.
Wartende Menschen auf Lampedusa.
AFP/ALESSANDRO SERRANO

Lampedusa/Rom – Angesichts der hohen Zahl an ankommenden Migrantinnen und Migranten meldet die süditalienische Insel Lampedusa chaotische Zustände. Seit Montag sind circa 9.000 Menschen auf Lampedusa gelandet, das ist fast um ein Drittel mehr als die Gesamtzahl der Einwohner, die bei 6.300 liegt. Der Stadtrat der Mittelmeerinsel hat am Mittwochabend den Ausnahmezustand ausgerufen. Damit fordert Bürgermeister Filippo Mannino mehr Unterstützung für die kleine Insel, die unter "großem Druck" stehe.

"Wir fordern eine strukturelle Lösung, denn wir können diese Migrationsströme allein nicht mehr bewältigen", sagte Mannino. Er drängt auf die sofortige Verlegung der Migranten und Migrantinnen nach Sizilien und aufs italienische Festland. Er fordert auch den Einsatz von Marineschiffen, die Migrantenboote vor der Küste Lampedusas aufgreifen sollen, bevor sie die Insel erreichen können.

Video: Aufnahmen der Nachrichtenagentur AFP zeigen, wie Menschen über die Zäune der Flüchtlingseinrichtung klettern.
AFP

Welche Konsequenzen die Ausrufung des Notstands auf der Insel konkret haben wird, blieb zunächst unklar. Schon im Frühjahr hatte die Zentralregierung in Rom wegen der hohen Migrationszahlen nämlich einen landesweiten Notstand beschlossen. Grundsätzlich kann der Notstand aber administrative Erleichterungen bringen, etwa Genehmigungsverfahren beim Bau dringend benötigter Unterkünfte abkürzen.

Chaos bei Lebensmittelverteilung

Mehr als 6.000 Personen befinden sich derzeit in der vom Roten Kreuz verwalteten Flüchtlingseinrichtung der Insel, die eigentlich für maximal 400 Personen ausgelegt wäre. Bei der Verteilung von Lebensmitteln kam es am Mittwochabend zu chaotischen Zuständen. "Die Situation ist außer Kontrolle", klagten Sicherheitsbeamte. Am Donnerstag sollen 3.000 Migrantinnen und Migranten die Insel verlassen.

Menschen auf Lampedusa
Diese Aufnahme entstand am 13. September auf Lampedusa.
EPA/ELIO DESIDERIO

Am Hafen spitzte sich die Lage am Mittwochnachmittag zu. Hunderte Migrantinnen und Migranten versuchten nach übereinstimmenden Medienberichten, den Hafen zu verlassen und Absperrungen zu durchbrechen. Wie auf Videos zu sehen war, drängte die Polizei die Menschen zurück.

Salvini sieht "Kriegsakt" gegen Italien

Der italienische Vizepremier und Verkehrsminister Matteo Salvini betrachtet die vielen ankommenden Migrantinnen und Migranten als "Kriegsakt" gegen Italien. "Wenn 120 Boote zur gleichen Zeit auf Lampedusa ankommen, ist dies kein einzelner Vorfall, sondern ein Kriegsakt. Das führt nicht nur Lampedusa, sondern die gesamte italienische Gesellschaft zum Zusammenbruch", so Salvini, Vorsitzender der rechten Regierungspartei Lega.

Die Regierung werde "keine Art der Intervention ausschließen", um den Migrationsstrom zu stoppen. "Wenn man alleingelassen wird, kann man nicht anders handeln", erklärte Salvini.

Außenminister: Lage könnte sich noch verschärfen

Der italienische Außenminister Antonio Tajani warnte indes, dass sich die Lage in den kommenden Monaten noch verschärfen könnte. "Italien muss auf europäischer Ebene unterstützt werden. Wir können nicht alleingelassen werden", so Tajani in einem Interview mit der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" am Donnerstag. "Europa allein ist nicht in der Lage, ein so großes Problem zu bewältigen, das nicht nur fast ganz Afrika betrifft, sondern auch den Zustrom über die Balkanroute. Deshalb haben wir die Vereinten Nationen und die G20 einbezogen", so der Minister.

"Ich habe gerade die Botschafter von Guinea und Cote d'Ivoire, Länder, aus denen Hunderte von irregulären Migranten nach Italien ausreisen, ins Außenministerium einberufen und darum gebeten, dass strengere Kriterien zur Eindämmung der Ausreise und zur Annahme von Rückführungen eingeführt werden", erklärte Tajani.

Die Europäische Kommission steht in engem Kontakt mit den italienischen Behörden, erklärte eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag in Brüssel. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe engen Kontakt mit der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, und die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson werde später mit dem italienischen Innenminister Matteo Piantedosi telefonisch beraten, wie die EU Italien weiter helfen könne. Derzeit seien rund 450 Mitarbeitende der EU-Asylagentur und von Frontex vor Ort im Einsatz. Auch finanziell werde Italien mit 14 Millionen Euro Nothilfe unterstützt. Das Geld soll helfen, die Flüchtenden zu versorgen und von der Insel aufs Festland zu transportieren.

Deutschland setzt Migrantenaufnahme aus

Deutschland hat die freiwillige Migrantenaufnahme aus Italien ausgesetzt. Wie die "Welt" aus Kreisen der deutschen Innenbehörden erfuhr, wurden die Auswahlprozesse für in Italien ankommende Asylsuchende im Rahmen des "freiwilligen Solidaritätsmechanismus" eingestellt und dieser Schritt Rom in einem Brief mitgeteilt. Hintergrund der Aussetzung sei die anhaltende Weigerung Italiens, sogenannte Dublin-Überstellungen aus Deutschland zu ermöglichen.

Meloni reist unterdessen am Donnerstag nach Budapest zu Gesprächen mit ihrem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán. Die rechtspopulistische Politikerin nimmt am sogenannten Demografiegipfel in Budapest teil. (APA, red, 14.9.2023)