In diesem Sitzungssaal im Bundeskanzleramt findet in der Regel Woche für Woche der Ministerrat der Regierung statt.
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Die Öffentlichkeit nimmt die Koalition oftmals vor allem über Konflikte wahr. Wie zuletzt das irregeleitete E-Mail der ÖVP, das für den grünen Regierungspartner wenig Schmeichelhaftes bereithielt. Doch abseits von öffentlichkeitswirksamen Anspannungen, die immer wieder einmal aufpoppen, arbeitet man auch relativ friktionsfrei zusammen. Zumindest beteuern das Funktionärinnen und Funktionäre sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Parteien, wenn man sie nach Genese und Ablauf eines Ministerrats fragt.

Mittwoch, Schlag elf Uhr, trifft sich die türkis-grüne Regierung im Regelfall zu ihrer wöchentlichen Ministerratssitzung. Etwa eine Stunde später treten die Regierungsspitze oder auch einzelne Ministerinnen und Minister vor die Presse, um ein im Ministerrat beschlossenes und für die Öffentlichkeit relevantes Thema zu präsentieren. Nur an Tagen, an denen Nationalratssitzungen stattfinden, geht der Ministerrat für gewöhnlich schon um 8 Uhr über die Bühne. Abseits des öffentlichkeitswirksamen Pressefoyers weiß man aber nicht viel über den Ministerrat. DER STANDARD hat sich umgehört, was hinter den Kulissen läuft.

Die Inszenierung 

Das wöchentliche Regierungstreffen besteht aus drei Phasen: Doorstep, Ministerrat, Pressefoyer. Das Pressebriefing nach der Regierungssitzung geht auf Bruno Kreisky zurück: Der SPÖ-Kanzler empfing ab 1971 Journalisten im Ecksalon des Kanzleramts. Seit Kreisky gilt die Devise, dass sich der Regierungschef im Pressefoyer nach dem Ministerrat den Fragen der Medien stellt. Dessen Nachfolger schraubten zwar wiederholt an der Inszenierung, stellten sich in der Regel aber selbst den Fragen der Medien. Erstmals mit diesem über Jahrzehnte gepflegten Ritual gebrochen hatte SPÖ-Kanzler Christian Kern, der den wöchentlichen Auftritt der Regierungsspitze durch ein "Debriefing" der Koalitionskoordinatoren ersetzte.

Die türkis-grüne Regierung knüpfte schließlich daran an und wollte ebenfalls ohne die wöchentliche Pressekonferenz des Kanzlers auskommen. Stattdessen stehen oftmals Ministerinnen und Minister Rede und Antwort im Pressefoyer. An dieser Inszenierung hat sich auch nichts geändert, nachdem Karl Nehammer Sebastian Kurz als Regierungschef nachgefolgt war.

Das Thema

Wer sich bei Menschen umhört, die in irgendeiner Form mit dem Ministerrat zu tun haben, hört folgenden Satz: Was wirklich Thema im Ministerrat ist, entscheidet sich oftmals sehr kurzfristig.

Im Grunde gibt es zwei Arten von Themen: jene, die im Regierungsprogramm festgeschrieben sind und auf deren Umsetzung man sich geeinigt hat. Und jene, die die Koalition von extern ereilen – entweder in Form eines Höchstgerichtsurteils, das eine Gesetzesreparatur notwendig macht, im Zuge einer Umweltkatastrophe oder durch einen Anlassfall, der die Regierung nicht zuletzt aufgrund des medialen Drucks zum Handeln zwingt, wie etwa vor einigen Monaten die Causa Teichtmeister.

Nicht alle Themen, die in den Ministerrat kommen, sind auch für die Öffentlichkeit interessant. Deshalb muss auch darüber entschieden werden, welche Themen sich für das Pressefoyer im Anschluss an den Ministerrat oder für den Doorstep im Vorfeld des Ministerrats eignen. Während das Pressefoyer eine etwas ausführlichere Pressekonferenz ist, dauert der Doorstep (die englische Türschwelle erinnert ein wenig an die Redewendung "zwischen Tür und Angel") nur wenige Minuten.

Die Planung

"Wir haben immer eine Langfristplanung, die über sechs bis zehn Wochen geht, und eine Planung für die nächsten zwei bis drei Wochen", sagt Daniel Kosak, stellvertretender Kabinettschef von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) zum STANDARD. Eine Woche vor dem Ministerrat sprechen ÖVP und Grüne schließlich konkret darüber, welche Themen in der folgenden Woche im Ministerrat behandelt werden könnten. Hier werden Möglichkeiten und der Verhandlungsstand von einzelnen Vorhaben geprüft. Gegebenenfalls käme es dann zu einem "Push", damit die letzten Verhandlungen geführt und das Vorhaben auf Schiene gebracht werden. Anfang der Woche werde dann damit begonnen, "festzuzurren, was wir in den Ministerrat bringen und was davon für die Öffentlichkeit relevant ist", sagt Kosak.

Im Hinblick auf die Planung des Ministerrats dürfte es mit dem Kanzlerwechsel von Sebastian Kurz zu Karl Nehammer zu geringfügigen Änderungen gekommen sein. So erzählen manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Koalitionsparteien, dass die Vorbereitung und Langfristplanung unter Kurz umfangreicher gewesen seien. Auch der Überblick, was alles in der Pipeline sei, habe abgenommen, die Rädchen seien besser ineinander verzahnt gewesen, heißt es da.

Der damalige Kabinettschef von Sebastian Kurz, Bernhard Bonelli, wird von manchen Koalitionspartnern auch heute noch als "sehr gut organisiert und tadellos in Sachen Paktfähigkeit" gelobt. Das Klima sei immer noch ein gutes, heißt es von grüner Seite, die "Sortiertheit" habe aber vielleicht etwas abgenommen.

Arbeitsminister Martin Kocher, Kanzler Karl Nehammer (beide ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (beide Grüne) beim Sommerministerrat.
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Andere sehen das nicht so. Sie verweisen darauf, dass die aktuelle Regierung eine Krisenregierung sei, weil die vergangenen Jahre extrem krisengeprägt gewesen waren. Dies wiederum würde "eine enorme Kurzfristigkeit und ein Feilen bis zur letzten Minute" mit sich bringen. Man könne die heutige Zeit, in der man oftmals schnell zu reagieren habe, nicht mit einer Zeit vergleichen, in der vieles langfristig planbar war.

Die Ministerstunde

Die Ministerinnen und Minister werden im besten Fall ein paar Tage, im für sie ungünstigsten Fall wenige Stunden vor dem Ministerrat seitens des Kanzleramts darüber informiert, ob sie einen Auftritt im Pressefoyer oder einen Doorstep zu absolvieren haben. "Der finale Gong, dass wir morgen im Pressefoyer sind, kommt erst wenige Tage, manchmal erst wenige Stunden davor", bestätigt auch eine Sprecherin einer ÖVP-Ministerin.

Das hat meist damit zu tun, dass das Vorhaben noch nicht finalisiert sei, weil es in dem einen oder anderen Punkt noch Bedenken gibt oder weil schlichtweg noch der Sanktus von oben fehlt. Allzu dramatisch sei diese Kurzfristigkeit aber nicht, denn wirklich überrumpelt kann man davon nicht werden. "Klar ist, dass jede Ministerin und jeder Minister weiß, welche Gesetze wo stehen und wann es circa so weit sein wird, dass sie in den Ministerrat kommen", sagt die Ministersprecherin.

Im Vorfeld trudeln außerdem auch die Tagesordnung und Tischvorlagen in den Ministerien ein.

Die Verhandlungen

Bevor ein Gesetzesvorhaben in den Ministerrat kann, muss es freilich ausverhandelt werden. Diese Verhandlungen finden auf verschiedenen Ebenen statt. In der Regel verhandelt jenes Ministerium, in dem das Gesetzesvorhaben liegt, mit einem Ministerium des Regierungspartners. So verhandelt beispielsweise Justizministerin Alma Zadić (Grüne) oftmals mit Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Gibt es kein direktes Gegenüber in Form eines Ministeriums, wird das hauptzuständige Ressort mit der Bereichssprecherin oder dem Bereichssprecher des Parlaments verhandeln. Für Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) ist etwa Verteidigungssprecher David Stögmüller (Grüne) Ansprechperson.

Irgendwann sind die Verhandlungen so weit gediehen, dass nur noch wenige Punkte offen sind. Dann erreicht das Vorhaben die Koordinierungsgruppe der Koalition, die sich aus Personen aus den Kabinetten von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) zusammensetzt. Zunächst wir dort verhandelt. Im weiteren Verlauf werden weitere Paarungen in die Verhandlungen miteinbezogen, darunter: Die Pressesprecher sowie Kabinettschefs von Kanzler und Vizekanzler, die Klubchefs von ÖVP und Grüne bis hinauf zu Kanzler und Vizekanzler.

Die Koordinierungsgruppe tagt montags oder dienstags. Sowohl ÖVP als auch Grüne treffen sich unmittelbar vor dem Ministerrat zu internen Vorbesprechungen. Die Ministerinnen und Minister der Volkspartei finden sich samt Klubspitze, Nationalratspräsident und Generalsekretär direkt im Kanzleramt, gleich neben dem Ministerratssaal, zur Vorbesprechung ein.

Die Location

Doch wo ist der Ministerratssaal eigentlich, und was hatte und hat er sonst für eine Funktion? An Tagen, an denen keine Nationalratssitzung stattfindet, treten die Teams von ÖVP und Grünen im Ministerratssaal im Bundeskanzleramt am Ballhausplatz Nummer 2 zusammen. Der prunkvolle Saal, dessen Wände von korinthischen Säulen gegliedert werden, war einst der Große Speisesaal in dem geschichtsträchtigen Gebäude, in dem auch der berüchtigte Staatskanzler Clemens Wenzel Graf Metternich lebte und arbeitete. Der Ministerrat tagt stets unter den Augen des jungen Kaiser Franz Josef, dessen von Anton Einsle 1850 gemaltes Porträt neben dem Verhandlungstisch hängt. Während der Corona-Pandemie tagten hier auch diverse Runden von Expertinnen und Experten.

Weniger Monarchie, mehr Demokratie atmet der Raum, an dem an Plenartagen der Ministerrat zusammentritt: Es ist das Ministerratszimmer im Parlament. In diesem findet auch die Präsidialkonferenz aller Fraktionen statt.

Die Medien

Medien erfahren meist erst sehr kurzfristig, welches Thema im Pressefoyer nach dem Ministerrat präsentiert wird. Das macht die Planung vor allem für Tageszeitungen oftmals schwierig. Dass die Medien eher kurzfristig informiert werden, soll mehrere Gründe haben. Erstens, weil eben auch regierungsintern oft bis zur letzten Minute nicht klar ist, was Thema sein wird. Zweitens, will man Medien nicht zu früh informieren, falls es durch aktuelle Ereignisse zu kurzfristigen Änderungen kommt, und drittens, weil die Regierung fürchtet, dass Medien vorab – und ohne Details der Regierung – berichten.

Ist das Thema definitiv fixiert, werden Medienvertreterinnen und -vertreter über eine Chatgruppe auf dem Messenger-Dienst Signal von Kosak darüber informiert. Irgendjemand der über 300 Gruppenmitglieder erbarmte sich bisher meist spätestens Dienstagabend mit der obligatorischen Frage: "Gibt es schon Infos zum morgigen Ministerrat?" Der Rest ist Hoffnung.

Nachdem Journalisten dies zuletzt in "Simpson"-Memes thematisierten, dürfen seit Sonntag nur mehr die Administratoren des Kanzleramts Nachrichten in die Gruppe senden.

Die Beschlüsse

In der wöchentlichen Regierungssitzung gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Meist sind haufenweise Beschlüsse zu treffen. Oftmals finden sich auf der Tagesordnung auch Punkte, die keine politische Debatte nach sich ziehen, sondern lediglich abgenickt werden. Hierbei handelt es sich etwa um Routineberichte etwa von EU-Räten oder Updates zur Arbeitsmarktlage.

Sämtliche Ministerratsbeschlüsse sind in der Regel noch am selben Tag auf der Homepage des Bundeskanzleramts zu finden. "Wenn man sich das anschaut, sieht man, dass 90 Prozent der Beschlüsse todlangweilig sind", sagt ein ÖVP-Mann. Aber dieses "totlangweilige Zeug", das für die Öffentlichkeit "komplett uninteressant" sei, gehöre eben "auch gemacht".

Der Abschluss

Nach dem Ministerrat ist vor dem Ministerrat. Für mit dem Ministerrat beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht die Woche von Mittwoch bis Mittwoch. "Wenn der Ministerrat vorbei ist, schnaufe ich eine Stunde durch und beginne dann mit den Vorbereitungen für den nächsten", sagt ein ÖVPler mit zentraler Rolle. (Sandra Schieder, Colette M. Schmidt, 4.10.2023)