Schlafwandlerisch bewegen sich Eyals Figuren auf den Zehenspitzen, lassen sich treiben, obwohl die Musik irritierende Spannungen suggeriert.
Schlafwandlerisch bewegen sich Eyals Figuren auf den Zehenspitzen, lassen sich treiben, obwohl die Musik irritierende Spannungen suggeriert.
Tilo Stenglel

Immer öfter arbeiten Tanzensembles mit wechselnden Choreografinnen und Choreografen. Sie bilden ein Gegenmodell zu den jeweils auf eine Person spezialisierten Gruppen wie Anne Teresa De Keersmaekers Rosas. Ein Beispiel ist die schwedische Göteborgs Operans Danskompani, die im Festspielhaus St. Pölten an einem Abend von Hofesh Shechter mit seinem Stück Contemporary Dance und Sharon Eyal mit Saaba das Publikum aus den Sesseln gerissen hat. Contemporary Dance ist eine Party in fünf Kapiteln. Im ersten Teil namens "Pop" vergnügen sich zu Clubmusik vierzehn junge Leute. Dabei kippen sie in ein "kreatives Zusammenbrechen der Wahrnehmung" (so heißt das zweite Kapitel) und konzentrieren sich auf ihre Selbstdarstellung.

Im Flow suchen die Clubber Sicherheit vor irritierenden Einflüssen. Sie bilden Gruppen, fließen auseinander, formen Reihen und ballen sich zusammen. Der Tanz endet zu Frank Sinatras sentimentalem Antidepressivum My Way, und zwar so, dass das "Ich" im Text zu etwas Kollektivem wird und sich der "final curtain" für alle von uns zu schließen scheint.

Jederzeit explodieren

Choreografisch noch ausgefeilter ist Sharon Eyals Saaba auf der großen Bühne. Die israelische Choreografin war diesen Sommer bereits bei den Salzburger Festspielen zu Gast. Bei Shechter tanzt das Ensemble in Freizeitkleidung, Eyal ließ es von Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri mit hautfarbenen und -engen Bodysuits ausstatten.

Schlafwandlerisch bewegen sich Eyals Figuren auf den Zehenspitzen, lassen sich treiben, obwohl die Musik irritierende Spannungen suggeriert. Durchbrochen wird diese Entrücktheit durch groteske Auftritte der Männer. Da wirkt die Atmosphäre, als könnte die Szene jederzeit explodieren. Arbeiten von Eyal und Shechter sind schon am 6. Oktober wieder im Festspielhaus zu sehen. Unter dem Titel The Seven Sins lässt Eyal das Stuttgarter Ensemble Gauthier Dance den Neid antanzen und Shechter die Wollust. (Helmut Ploebst, 25.9.2023)