Adele
Die Sängerin Adele: Heute zu schön, früher zu dick?
Chris Delmas/AFP

Was haben das Model Kylie Jenner, die Schauspielerin Meg Ryan und die Sängerin Adele gemeinsam? Nun ja. Offenbar wartet die Weltöffentlichkeit auf eine Beichte von ihnen:

"Kaum zu glauben: Kylie Jenner schwört Stein und Bein, optisch nur minimal nachgeholfen zu haben" – "Nicht wiederzuerkennen: Megs Gesicht strahlt mit prallem Schmollmund und einer faltenfreien Haut, umrahmt von ihren charakteristischen blonden Locken" – "Adele: Vollkommen verändert! Sie kann ihre Beauty-Eingriffe nicht länger verbergen".

Solche Aufdeckereien aus der Klatschpresse sind wir gewohnt, vielleicht brauchen wir das auch. Sie scheinen uns das Gefühl zu geben, dass Frauen im Showgeschäft ja gar nicht so perfekt wären, hätten sie nicht nachgeholfen. Warum überrascht uns dann der Fall Sophie Passmann so sehr? Die deutsche Autorin, Moderatorin und klar deklarierte Feministin hat einen Auszug aus ihrem neuen Buch "Pick me Girl" veröffentlicht, in dem sie offen über ihren Umgang mit Schönheitseingriffen schreibt.

Sophie Passmann
Sophie Passmann hat es getan.
Christian Werner

Sie schildert das Dilemma, dass sie als Frau einerseits dafür kritisiert wird, wenn sie ihr Aussehen optimiert, während genau das von ihr erwartet wird. Besonders nach ersten Auftritten im Fernsehen und den dazugehörigen Kommentaren in den sozialen Medien hätten sich Passmanns Selbstzweifel verstärkt, eins führte zum anderen, und irgendwann hatte sie dann zwischenzeitlich aufgespritzte Lippen, ein Tabu war gebrochen.

Das Gewöhnliche daran: Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind einem besonders großen Druck ausgesetzt, perfekt auszusehen. Und sie müssen ertragen – sofern sie es wie Passmann nicht lieber selbst ansprechen –, dass ein zu makelloses Aussehen den Verdacht weckt, sich Behandlungen mit Hyaluronsäure, Botox oder sogar mit dem Messer unterzogen zu haben. Das Besondere daran: Geben diese Frauen außerdem vor, Feministinnen zu sein, werden sie zu besonders schlimmen Verräterinnen.

Sat.1-Fernsehmoderator Daniel Boschmann erklärt in einem Tweet, in dem er die Sängerin Adele "überführt", in ihre Schönheit eingegriffen zu haben, so: "Mir geht's darum, dass Stars vorgeben, nur mit Diäten und mit Sport Veränderungen zu bekommen. Jugendliche glauben das und verfolgen ein falsches Schönheitsideal."

Sat.1-Fernsehmoderator Daniel Boschmann gehe es bei diesem sarkastischen Tweet nur darum, zu zeigen "dass Stars vorgeben, nur mit Diäten und mit Sport Veränderungen zu bekommen".

Doch kommen wir zu den Männern. Obwohl bereits ein Fünftel der Beauty-OPs an Männern vorgenommen wird, findet das kaum Niederschlag in den Klatschmagazinen. Fragt man eine Schönheitschirurgin im Stil der Klatschmedien, welche berühmten Männer "zu schön sind, um wahr zu sein", kommt eine ernüchternde Antwort:

"Im Prinzip kann man davon ausgehen, dass Männer in der Alterskategorie von Brad Pitt ohne ästhetische Chirurgie nicht so aussehen würden, das ist nahezu unmöglich. Sodass man gar nicht mehr weiß, wie jemand natürlich altert", sagt die Fachärztin für plastische Chirurgie, Barbara Gebhard. Sie ist überzeugt davon, dass Brad Pitt ein Mittelgesichtslifting vorgenommen hat. Warum spricht darüber niemand? Warum müssen sich Männer Fragen nach ihrer Echtheit nicht gefallen lassen?

"Im Prinzip kann man davon ausgehen, dass Männer in der Alterskategorie von Brad Pitt ohne ästhetische Chirurgie nicht so aussehen würden, das ist nahezu unmöglich."

Das liegt auch am männlichen Idealbild. Normschöne Männer sind stark, fit und muskulös, und diese Attribute sind nicht angeboren. Man erlangt sie, so trügt der Schein, durch harte Arbeit und dem Überlebenskampf in der Wildnis. Brian Johnson ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie Männer die Selbstoptimierung ihres Körpers darstellen. Der langbärtige, braungebrannte und stets oberkörperfreie Influencer ist in den sozialen Medien als Liver King berühmt. Seinen über zwei Millionen Followern allein auf Instagram lebt er einen "urzeitlichen" Lebensstil vor. Johnson erklärt seine körperliche Fitness und das damit verbundene Aussehen mit regelmäßigem Verzehr von roher Leber, Eisbaden und dem Ziehen von Lastwägen mit den Zähnen.

Gefälschte Muskeln

Im Dezember vergangenen Jahres musste er dann ein Geständnis ablegen, nachdem aufgeflogen war, dass er monatlich bis zu 11.000 Dollar für Anabolika und andere Hilfsmittel zum Muskelaufbau ausgibt.

Dass darüber überhaupt berichtet wurde, liegt wohl auch daran, dass Liver King sein Leben mit den Tipps verdient, die seinen Followern das gleiche Aussehen versprechen, er vertreibt sogar ein eigenes Proteinpulver. Es ist also schlichtweg Betrug, dass seine Lebensweise zu diesem Erscheinungsbild geführt hat.

Liver Kings Geständnis auf YouTube: "Ich habe gelogen"
Liver King

Der Fall Liver King legt scheinbar auch nahe: Während Frauen sich für die Männerwelt schön machen, wollen Männer nur stark und fit sein, um gegen Bären zu kämpfen. Dass sie mit Muskeln ebenfalls ein Schönheitsideal erfüllen wollen, wird oft übersehen und somit auch die ganze Trickserei dabei.

Von wegen Proteinshake

Wie groß diese ist, kann man am Schwarzmarkt für Dopingmittel mit Anabolika ablesen beziehungsweise natürlich nur daran, was der Zoll davon mitbekommt. Und diese Menge ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten ums Vierzigfache gestiegen. Der Bayerische Rundfunk, der sich diese Zahlen angesehen hat, geht davon aus, dass ein Viertel der Fitnessstudiobesucher heimlich gedopt ist. Und dabei kommt man sogar ziemlich leicht an ein Rezept für Testosteron. Das hat ein solches Ausmaß angenommen, dass die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie nun aktiv vor den Nebenwirkungen warnt. Denn sie geht davon aus, dass nur bei zwei Prozent der älteren Männer, die Testosteron verschrieben bekommen, von einem zu behandelnden Mangel ausgegangen werden kann. Heimliches Doping im Fitnessstudio und Testosteron als Anti-Aging und Lifestylemedizin zusammengenommen – welcher Mann ist überhaupt noch echt?

Der Schwarzmarkt für Anabolika ist enorm. Hier wurden 423 Kilogramm Anabolika im Wert von 478.860 Euro vom österreichischen Zoll beschlagnahmt.
BMF/Zoll

"Es geht eigentlich immer, wenn man schön sein möchte, darum, das Gegenüber anzuziehen. Das heißt, Männer wollen stark wirken und diese Attribute auch in der plastischen Ästhetik verstärken", sagt Gebhart und zählt beliebte Eingriffe auf: "Fettabsaugen, Brustverkleinerungen, Augenlid- und Hodensackstraffung."

Wer will für wen schön sein?

Besonders die Annahme, dass Frauen für Männer schön sein wollen, führt dazu, dass man in ihnen Verräterinnen des Feminismus sieht. Dabei ist zahlreich belegt, dass Frauen erheblich stärker nach ihrem Aussehen beurteilt werden als Männer. Außerdem werden attraktive Frauen auch besser behandelt, sie bekommen bessere Noten und bessere Jobs, sie werden sogar seltener vor Gericht verurteilt. Pretty Privilege nennt sich dieses Phänomen. Darauf sollen Feministinnen also verzichten.

Die Schauspielerin Meg Ryan. 
Meg Ryan ist nicht mehr oft im Rampenlicht. Im Film "Harry und Sally" 1989 war sie Ende zwanzig. Heute ist sie 61 Jahre alt.
Robyn Beck/AFP

Im Rampenlicht verstärkten sich die Auswirkungen dieses Privilegs noch: Das zeigt eine aktuelle Studie zum Alter von Schauspielerinnen und Schauspielern: Während Rollen mit Sprechparts, die von unter 30-Jährigen gespielt werden, doppelt so oft weiblich sind, werden nur noch halb so viele Rollen von Frauen über 40 besetzt wie von Männern.

Eine prominente Frau muss nicht nur von Natur aus schön sein, sie muss das auch bleiben, sonst verschwindet sie nämlich wortwörtlich von der Bildfläche und damit auch ihr finanzielles Einkommen.

Was hinter diesem Aussehen steckt, ist vor allem im Showgeschäft aufwendige Körperpflege. Wo setzen Menschen die Grenze des Natürlichen? Botox und Hyaluronsäure gehen offenbar zu weit, weil nicht auf, sondern unter die Haut, "ob nicht die Kleinigkeiten, die nahezu jede Frau tut, um durch den Alltag zu kommen, in Wahrheit viel perfider sind, weil sie erfolgreich den Anschein erwecken, Teil von asexueller Selfcare zu sein", schreibt Passmann in dem bereits genannten vielkritisierten Auszug aus ihrem Buch.

Frauen, die sich sexistische Mechanismen selbst zunutze machen und mit ihrer Schönheit Geld verdienen, sind zumindest kapitalistisch gesehen feministisch, denn sie betreiben den Aufwand nicht allein für dekorative Zwecke. Dass diese Frauen gleichzeitig die Verhältnisse kritisieren können und sie verändern wollen, das passt für die Kritikerinnen und Kritiker von Sophie Passmann nicht zusammen. Dabei sollten doch gerade die Betroffenen von etwas – in dem Fall Schönheitswahn – glaubhaft machen können, worunter sie leiden. (Text: Maria von Usslar, Grafiken: Pauline Reitzer, 29.9.2023)