Wohntürme neben Arena Wien
In den neuen Wohntürmen in der Nähe der Arena zieht Leben ein. Bei der Stadt häufen sich die Lärmbeschwerden.
APA/EVA MANHART

Jahrzehntelang konnten Partygäste in den alten Backsteinbauten in Wien-Erdberg relativ unbehelligt musizieren und feiern. Die Arena Wien, ein ehemaliger Schlachthof, zählt längst zu den legendärsten Veranstaltungsorten Österreichs. Doch jetzt häufen sich die Beschwerden von Anrainern, die in neugebaute Wohntürme in der unmittelbaren Nachbarschaft eingezogen sind. Mittlerweile haben Veranstalter erste Events abgesagt.

Können neu zugezogene Nachbarn also tatsächlich bewirken, dass in der Arena keine lauten Events mehr stattfinden dürfen? In einem Veranstaltungsgebäude, das sich über Jahrzehnte etabliert hat? Dazu eines vorweg: Rechtlich haben die Beschwerden der Nachbarn nichts mit den abgesagten Veranstaltungen zu tun – zumindest theoretisch.

Entscheidung der Stadt

Grund für die aktuellen Absagen in der Arena sind behördliche Entscheidungen. Zwei Partybetreiber haben ihre Events gecancelt, weil ihnen die Stadt Wien die Sperrstunde für die Veranstaltungen nicht wie in der Vergangenheit über zwei Uhr früh hinaus erstreckt hat.

Ein entsprechender Antrag auf Verlängerung kann von der Behörde bewilligt werden, wenn mit keiner "unzumutbaren Belästigung der Umgebung" zu rechnen ist. Die Stadt Wien vertritt nun offenbar die Auffassung, dass es aufgrund der mangelnden Schallisolierung in zwei kleineren Sälen der Arena zu einer solchen "unzumutbaren Belästigung der Umgebung" kommt. Ist der Grund dafür eine Beschwerde der Anrainer und Anrainerinnen?

Vonseiten der Behörde heißt es, dass die Nachbarn in "veranstaltungsrechtlichen Verfahren" – also etwa bei der erwähnten Verlängerung der Sperrfrist – keine Parteistellung haben. Das heißt, dass sie sich nicht offiziell mit Beschwerden im Verfahren einbringen können. Vielmehr komme es auf eine "objektive Beurteilung bzw. Prognose an", ob die Lärmgrenzwerte eingehalten werden. Diese generellen Lärmgrenzwerte im Wiener Veranstaltungsgesetz sind laut Stadt Wien "immer einzuhalten und nicht erst, wenn es Beschwerden gibt".

Konflikte im besiedelten Raum

Für Beobachter ist freilich klar, dass die Beschwerden der Anrainer und die Eventabsagen zeitlich nah beieinanderliegen. An einen Zufall glauben viele nicht, schließlich ist auch die mangelhafte Schallisolierung kaum von einem Tag auf den anderen aufgetreten. Bleiben zwei Optionen: Entweder die Stadt Wien war in der Vergangenheit eher kulant, oder sie ist jetzt strenger.

Anrainerinnen und Anrainer könnten freilich auch privat gegen allzu laute Konzerte vorgehen. Erfolgreich zur Wehr setzen könnten sie sich dann, wenn der Lärm das "ortsübliche Maß" überschreitet und sie selbst "wesentlich beeinträchtigt" sind. Die Entscheidung, ob das der Fall ist, müsste letztlich ein Gericht treffen. Nur: Ein Prozess ist derzeit nicht einmal in Sicht. Bei der Arena gibt es keine Abmahnungen, geschweige den Klagen, heißt es auf Anfrage des STANDARD.

Der aktuelle Fall wirft auch grundsätzliche Fragen in Sachen Stadtentwicklung auf. Wer Zersiedelung vermeiden will, muss das bestehende Stadtgebiet verdichten. Damit treffen vermehrt unterschiedliche rechtliche Interesse aufeinander. Entscheidend sind dann auf der einen Seite Behördenentscheidungen bzw. objektive Lärmschutzgrenzen und auf der anderen Seite Abwägungsfragen im Nachbarrecht: Ist die Lärmbelastung in einem Gebiet üblich und erlaubt? Hat immer derjenige recht, der zuerst da war?

Laufende Veränderung

In der Praxis sind das stets "zutiefst einzelfallbezogene Entscheidungen", erklärt Anwalt Roland Weinrauch im Gespräch mit dem STANDARD. Was an einem Ort als "üblich" gilt, kann an einem anderen Ort zu viel sein. Gemeint ist mit einem "Ort" nicht ein bestimmter politischer Bezirk, sondern das "Gepräge" eines bestimmten Viertels.

Und: Die Beurteilung, was ortsüblich ist, kann sich im Laufe der Zeit ändern. So können etwa neue Flächenwidmungen oder Baugenehmigungen der Stadt dazu führen, dass sich die Situation ändert. Dazu kommt, dass die Frage nach der Ortsüblichkeit immer zum Zeitpunkt der Beschwerde beurteilt wird, erklärt Weinrauch. "Dass man zuerst da war, reicht deshalb als alleiniges Argument nicht aus."

Im Fall der Arena wäre laut Weinrauch etwa fraglich, ob sich die Ortsüblichkeit durch die Wohntürme verändert hat. Gleichzeitig ließe sich wohl argumentieren, dass mit Gewerbegebieten und der Südosttangente eine gewisse Lärmbelastung im Viertel üblich ist. Entscheiden müsste das letztlich ein Gericht, vorerst wird es mangels Klagen aber nicht dazu kommen.

Die Arena Wien plant nun, die betroffenen Räume zu isolieren. Auch die zuständige Magistratsabteilung 36 sei bemüht, eine langfristige Lösung zu finden, heißt es auf Anfrage des STANDARD. Ruhig wird es um die Backsteinbauten in Erdberg sicher noch länger nicht werden. (Jakob Pflügl, 25.9.2023)