Ein Physiotherapeut renkt die Wirbelsäule eines Patienten, der auf einer Behandlungsliege liegt, ein
Beim Einrichten knackst es oft ziemlich. Warum das so ist, weiß man nicht so genau. Die Geräusche dürften allerdings den Placeboeffekt verstärken, vermuten Fachleute.
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Es klingt verlockend: Bei Nackenschmerzen oder Rückenbeschwerden sind nur ein paar schnelle Handgriffe nötig – und schon sind die Schmerzen weg. Auch alle Gelenke und Nerven befinden sich wieder dort, wo sie anatomisch hingehören. Denn die Hauptursache für Schmerzen aller Art sind, so zumindest die These der Chiropraktik, sogenannte Subluxationen. Damit meint man Verschiebungen der Wirbelkörper. Dadurch entsteht Druck auf Nervenbahnen, das schmerzt. Werden die Wirbel wieder in die richtige Position gebracht, soll das bei Betroffenen für Erleichterung bei Steifheit und Muskelblockaden sorgen und auch generell für mehr Wohlbefinden. Nur: Diese These ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Chiropraktikerinnen und Chiropraktiker mussten sie bereits 2009 in einer Übersichtsarbeit selbst widerlegen.

Trotzdem hat die Methode bis heute unzählige Fans. In sozialen Medien ist die alternativmedizinische Behandlung sogar zum Trend geworden. Es knirscht und knackt gewaltig auf Instagram, Tiktok und Co. Videos zeigen, wie Patientinnen und Patienten von Kopf bis Fuß durchgeknackst werden, vermeintlich festgeklemmte Nerven gelöst und blockierende Gelenke wieder mobilisiert werden. Der Physiotherapeut Andreas Gattermeier sieht diesen Trend und viele Accounts dahinter kritisch: "Dadurch wirkt es wie ein Allheilmittel für alle, die verspannt sind. Das ist es aber definitiv nicht."

Großer Placeboeffekt

In der Fachsprache ist das, was viele laienhaft als Einrenken bezeichnen, die sogenannte Manipulation. Gelenke werden dabei durch Impulse von außen manipuliert. Das ist in der Physiotherapie eine von vielen Behandlungsmöglichkeiten bei Störungen im Bewegungsapparat – "und zwar jene mit dem höchsten Risiko", erklärt Gattermeier.

Der Nutzen ist dabei überschaubar. Eine Cochrane-Analyse zeigte, dass chiropraktische Anwendungen bei chronischen Rückenschmerzen genauso wirkungslos waren wie Scheinbehandlungen. In anderen Studien verbesserte die Manipulation zwar die Schmerzen, der Effekt war aber klinisch nicht relevant. Die Linderung war so gering und von so kurzer Dauer, dass die Betroffenen selbst den Unterschied kaum merkten. In einer Metastudie aus dem Jahr 2019 schnitt die Behandlungsmethode noch am besten ab, das Ergebnis: Manipulation ist nicht besser als andere Therapiemöglichkeiten der Physiotherapie – aber zumindest auch nicht schlechter.

Dass dennoch viele auf diese Methode schwören, dürfte mit dem Placeboeffekt zu tun haben. "Der ist nicht zu unterschätzen", betont Gattermeier. Vor allem weil er akustisch verstärkt wird, nach dem Motto: Wenn es derartig kracht, muss es was bringen. "Aber es gibt keine Beweise, dass es tatsächlich einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Geräusch und einer positiven Reaktion im Körper gibt", stellt Gattermeier klar.

Das wiederum liegt daran, dass man bis heute nicht genau weiß, warum es überhaupt knackt. Es gibt mehrere Theorien dazu. Eine besagt, dass sich in der Gelenksflüssigkeit mit der Zeit kleine Gasbläschen bilden, die bei schneller Belastung platzen. Ein anderer Ansatz ist, dass das Bindegewebe in den Gelenkskapseln, vor allem an der Wirbelsäule, vereinfacht gesagt kleine Falten schlägt und diese bei Krafteinwirkung schnalzen. "Wie wenn man ein gefaltetes Papier schnell auseinanderzieht", beschreibt es der Experte.

Erhöhtes Schlaganfallrisiko

Diese Schnelligkeit der Bewegung ist aber auch das, was das Ganze so gefährlich macht. Die Technik ist im Grunde nicht kontrollierbar. Andere physiotherapeutische Behandlungen passieren viel langsamer, der Patient kann sagen, ab wann eine Bewegung schmerzt, und die Therapeutin kann reagieren. "Das geht bei der Manipulation nicht. In dem Moment, in dem ich den Impuls setze, ist er auch schon passiert. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde wirken bei falscher Anwendung große Hebelkräfte auf sehr kleine Gelenke, Bänder und Gefäße. Das macht es potenziell gefährlich", betont Gattermeier.

Vor allem im Bereich der Halswirbelsäule ist das Risiko sehr hoch. "Die Nebenwirkungen führen im schlimmsten Fall bis zum Tod", warnt der Experte. Denn wenn bei der Manipulation Arterien verletzt werden, könne das zu Durchblutungsstörungen im Gehirn und massiven gesundheitlichen Schäden führen. Auch der Berufsverband Physio Austria warnt vor den Risiken. Die Manipulation sei in speziellen Fällen zwar "durchaus hilfreich", könne aber durch den hohen Kraftaufwand sowie die Schnelligkeit des Griffs auch zur Traumatisierung der Wirbelsäule führen, schreiben die Fachleute.

Eine systematische Erfassung von Nebenwirkungen oder Folgeschäden gibt es, wie so oft in der Alternativmedizin, nicht. Aber die wenigen Studien zeigen einen gefährlichen Trend: In den Wochen nach einer chiropraktischen Behandlung steigt das Schlaganfallrisiko auf das Fünf- bis Siebenfache.

Voruntersuchung essenziell

Vor solchen Behandlungen sollte man sich deshalb umfassend untersuchen lassen, etwa auf Anzeichen von Durchblutungsstörungen. "Und dann muss man sich immer fragen, ob sich das Risiko auszahlt", sagt Gattermeier. Bei akuten Problemen, etwa wenn ein Gelenk blockiert, kann Manipulation durchaus hilfreich sein. Aber auch dann sei diese Technik immer nur eine Initialbehandlung, die den Betroffenen kurzfristig Erlösung bringt. Eine Manipulation sollte deshalb langfristig mit weiteren Behandlungsstrategien einhergehen, etwa Massagen, Dehnübungen oder Muskeltraining.

In Österreich dürfen manuelle Therapien aufgrund des "vorhandenen Gefahrenpotenzials", wie die Physio Austria schreibt, nur von Ärztinnen und – nach ärztlicher Anordnung – von Physiotherapeuten durchgeführt werden, nicht aber von anderen Berufsgruppen wie etwa Heilmasseuren. Von manchen selbsternannten Coaches oder Gurus werde die Methode trotzdem gerne als Allheilmittel angepriesen, sagt Gattermeier. Er rät: Wenn keine ausführliche Voruntersuchung durchgeführt und nur gefragt wird, wo es wehtut, sollten die Alarmglocken läuten.

Dass das tatsächlich so passiert, weiß Gattermeier aus der Praxis. Immer mehr Patienten und Patientinnen haben nach dem Einrichten noch größere Schmerzen und suchen Hilfe. Sie würden berichten, dass ihr Kopf – so wie man das in den Videos auf Social Media sieht – ruckartig gedreht wurde, und fertig. Wenn Gattermeier nachfragt, welche Untersuchungen vorab gemacht wurden, bekommt er oft dieselbe Antwort: keine. (Magdalena Pötsch, 25.9.2023)