Bratislava – In der Slowakei hat am Samstag in der Früh die Wahl eines neuen Parlaments für die kommenden vier Jahre begonnen. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der sozialdemokratischen Smer des populistischen und russland-freundlichen Langzeitministerpräsidenten Robert Fico (59) und der liberal ausgerichteten, jungen Progressiven Slowakei (PS) unter der Leitung des EU-Vizeparlamentspräsidenten Michal Šimečka (39) erwartet. Beobachter sprechen von einer Richtungswahl in der Slowakei.

Die Veröffentlichung erwarteter Exit Polls, geplant von großen TV-Sendern, wird sich allerdings verspäten. Auch das für die Stimmenauszählung zuständige Statistikamt wird die Ergebnisse später als erwartet auf seiner Website veröffentlichen.

Wähler kollabierte

Der Grund ist ein Todesfall in einem der Wahllokale im mittelslowakischen Povazska Bystrica. Ein 78-jähriger Wähler, der bei der Stimmabgabe kollabiert ist, konnte trotz des Einsatzes herbeigerufener Rettungskräfte nicht mehr gerettet werden. Die Stimmabgabe im Wahllokal musste daher zeitweilig unterbrochen werden, was auch den geplanten Wahlschluss hinausgezögert hatte.

Bei seiner Stimmabgabe in einer Schule in Bratislava sagte Šimečka, er erwarte ein enges Rennen, in dem "jeder Stimmzettel zählen wird". Er hoffe, dass "egal welche Regierung aus dieser Wahl hervorgeht, die Unterstützung der Ukraine fortgesetzt wird". Der Ausgang der Wahl in dem EU- und Nato-Land gilt auch als entscheidend dafür, ob die bisherige militärische Hilfe für die Ukraine im Kampf gegen Russland unvermindert fortgesetzt wird. Die Slowakei hat unter anderem MiG-Kampfjets an Kiew geliefert.

Fico wollte vor der Wahl nicht mitteilen, wo er seine Stimme abgeben würde. Am Samstag veröffentlichte er dann ein Video im Onlinedienst Facebook, das ihn bei der Stimmabgabe in einem Dorf nordöstlich von Bratislava zeigt. Er wolle eine Slowakei, die nicht von "Amateuren und Stümpern ohne Erfahrung" geführt werde, sagte der Ex-Regierungschef.

Mögliches Comeback von Fico

Fico, der nach einem Journalistenmord vor fünfeinhalb Jahren in Folge von Großdemonstrationen zurückgetreten ist, könnte jetzt vor einem Comeback stehen und das EU- und Nato-Land von seinem bisher strikt pro-europäischen und pro-ukrainischen Kurs abbringen. Die Progressiven unter Šimečka stehen dagegen für eine pro-westliche demokratische Ausrichtung der Slowakei. Den meisten Umfragen nach führt Fico mit einem geringen Vorsprung, einige Umfrageagenturen sahen aber bereits Šimečka knapp vorne.

Wahlplakat mit Robert Fico in Slowakei
Im Wahlkampf versprach der ehemalige Ministerpräsident Fico die bisherige Militärhilfe der Slowakei an die Ukraine im Kampf gegen Russland sofort einzustellen.
IMAGO/Tomas Tkacik

Im Wahlkampf versprach der Politveteran Fico die bisher großzügige Militärhilfe der Slowakei an die Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg sofort einzustellen und auch die EU-Sanktionen gegen Russland in Brüssel zu blockieren. Er wolle die Slowaken gegen Migrantenwellen, steigende Energiepreise und eine drastische Inflation von immer noch rund 10 Prozent in Schutz nehmen und ihre soziale Sicherheiten nicht gefährden, so Fico. Kritiker warnen, Fico werde das Land auf einen autoritären Kurs nach dem Beispiel des ungarischen Ministerpräsident Viktor Orban führen. Das Wahlergebnis in der Slowakei wird daher auch international mit viel Spannung erwartet.

Zwischen Westen und Osten

Die Progressiven unter Šimečka wollen den Missständen der Vorgängerregierung ein Ende setzen und für eine Stimmungsänderung im Land sorgen, um eine weitere Auswanderung junger, gut gebildeter Slowaken entgegenzuwirken. Šimečka sprach im Wahlkampf von einer zivilisatorischen Entscheidung, vor der das Land stehe: Zwischen dem Westen und dem Osten, und somit einer drohenden Isolation der Slowakei.

Mit ihren gesellschaftspolitischen Überzeugungen, zu denen auch registrierte Partnerschaften Homosexueller und mehr Rechte für die LGBT-Community gehören, könnten die Progressiven aber in der katholisch geprägten Slowakei ein Problem haben, Koalitionspartner zu finden. Bei der Parlamentswahl 2020 musste die PS ein Wahlfiasko einstecken, es fehlten wenige Hundert Stimmen zum Parlamentseinzug, obwohl auch damals ein zweistelliges Wahlergebnis für sie erwartet worden war.

Als Königsmacher gilt die ebenfalls sozialdemokratische Hlas (Stimmen) von Ex-Ministerpräsident Peter Pellegrini (47), die sich nach dem letzten Urnengang von Ficos Smer abgespalten hatte. Sie gilt als gemäßigter als die Smer und könnte auch als Juniorpartner in einer von Fico geführten Koalition die befürchtete Kehrtwende abschwächen. Sollte Fico hingegen auf eine Koalition mit Rechtsparteien wie der nationalistischen SNS und der rechtsextremen Republika angewiesen sein, wäre laut Beobachtern ein Orban-Kurs der Slowakei so gut wie sicher. Die beiden Parteien haben gute Chancen für einen Einzug in den Nationalrat.

Warten auf Ergebnisse im Hauptquartier der Progressiven
Warten auf Ergebnisse im Hauptquartier der Progressiven
AFP/VLADIMIR SIMICEK

Wunsch nach autoritärem Führer

Pellegrini hatte monatelang in Umfragen geführt, erst Anfang dieses Jahres sackte seine Partei ab und liegt mittlerweile nur noch auf Platz drei. Kürzlich wurde noch über eine bevorstehende Zusammenarbeit von Hlas mit den Progressiven spekuliert, zu Ende des Wahlkampfs wurde aber immer mehr eine Annäherung zwischen Fico und Pellegrini sichtbar.

Die inzwischen zum Großteil zersplitterten Parteien der konservativ-populistischen Vorgängerregierungen von Igor Matovič und Eduard Heger, die seit 2020 an der Macht waren, müssen hingegen um ihre politische Zukunft bangen. Ihre Umfragewerte lagen jüngst nur noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament. Statt einem demokratischen Neustart und der Bekämpfung von Korruption, die sich Slowaken nach dem Journalisten-Mord 2018 gewünscht hatten, brachten sie Chaos über das Land. Die Koalition stürzte schließlich über interne Streitereien.

Geblieben ist eine Rekordverschuldung des Landes und tiefer Frust in der Bevölkerung. Immer mehr Slowaken wünschen sich laut Umfragen einen autoritären Führer, der für Ruhe und Stabilität sorgen würde.

Patt möglich

Seit dem Sturz der Vorgänger regiert ein von Staatspräsidentin Zuzana Čaputová ernanntes Expertenkabinett unter dem Ökonomen Ľudovít Ódor in der Slowakei. Dieses wird die Amtsgeschäfte weiterführen, bis eine neue Regierungskoalition aus dem Urnengang hervorgegangen ist.

Beobachter haben jüngst auch ein mögliches Pat eingeräumt. Sollte keines der beiden Lager, weder Fico noch Šimečka, in der Lage sein, die notwendige Mehrheit von 76 Stimmen im Parlament zu stellen, würde die Slowakei unausweichlich erneut auf Neuwahlen hinaussteuern, hieß es.

Die rund 6.000 Wahllokale stehen den knapp 4,4 Millionen Wählern am Samstag von 7 bis 22 Uhr offen. Um die 150 Sitze im slowakischen Nationalrat sind insgesamt 25 politische Parteien bemüht, Erfolgschancen werden allerdings nur acht bis neun Gruppierungen eingeräumt. Ein relevantes vorläufiges Ergebnis wird noch in der Nacht auf Sonntag erwartet. (APA, red, 30.9.2023)