Die Idee klingt bestechend einfach: Da der Salzburger Oberpinzgau zunehmend durch Starkregen und Hochwasser bedroht wird, sollen die Zuflüsse ins Salzachtal aus den umliegenden Bergregionen mit Rückstauanlagen verbaut werden. Diese können im Notfall geschlossen werden und geben die Wassermenge nur dosiert ab, um das besiedelte Salzachtal zu entlasten.

Das Krimmler Achental ist ein Landschaftsjuwel im Nationalpark Hohe Tauern. Das Bild zeigt jenen Bereich, der im Fall von Starkregen geflutet werden soll.
Thomas Neuhold

In fünf Tälern sollen solche Rückhaltebecken gebaut werden: Die Becken im Krimmler Achental, im Habachtal, im Obersulzbachtal sowie im Hollersbachtal und am Hintersee im Felbertal sollen laut Landesregierung rund sieben Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen können. Kostenpunkt der Stauwerke: 30 Millionen Euro Minimum.

45.000 Menschen leben im Gebiet

Die Ursache für die sich immer weiter verschärfende Bedrohungslage liege freilich nicht an den zunehmenden Extremwetterereignissen allein, erläutert Winfrid Herbst, Vorsitzender des Salzburger Naturschutzbundes. Im STANDARD-Gespräch führt Herbst die immer weiter fortschreitende Verbauung im Salzachtal an. Dazu käme der Gletscherschwund, "also die massive Vergrößerung der freiliegenden vegetationslosen Flächen und der damit einhergehende dramatisch steigende Abfluss von Niederschlägen".

Der ressortzuständige Landesrat Josef Schwaiger (ÖVP) drückt jedenfalls aufs Tempo: "Ich will nicht, dass zehn Jahre vergehen, ich spreche von den Jahren 2025 und 2026 für die Fertigstellung." Immerhin würden in der Region 45.000 Menschen leben, die es zu schützen gelte. Schwaiger argumentiert, dass die Möglichkeiten am Talboden des Salzachtales bereits ausgeschöpft seien, trotzdem habe es beim jüngsten Großereignis 2021 massive Schäden gegeben. Der sichtbarste ist die abschnittsweise Zerstörung der Pinzgauer Lokalbahn von Zell am See nach Krimml. Aktuell verkehrt der Zug nur bis Niedernsill; der Wiederaufbau soll 45 Millionen Euro kosten.

So logisch Schwaigers Vorhaben klingt, so massiv ist auch die Kritik an den Plänen. Die ganze Sache hat nämlich einen ganz entscheidenden Haken: Zwei Projekte liegen in der Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern, fünf in der ebenfalls geschützten Außenzone.

Wie vom STANDARD berichtet, hat sich bereits der Rechnungshof wie auch die EU eingeschaltet: Der Rechnungshof empfiehlt in einem Bericht, das Projekt zu überdenken, und die EU hat ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Es geht um die Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie im Nationalpark – ein Natura-2000-Gebiet.

Gefahr für Nationalparkstatus

Der Beirat der Nationalparks Austria, dem der Alpenverein, die Naturfreunde, Birdlife, Naturschutzbund, Umweltdachverband, WWF sowie das Forum Wissenschaft und Umwelt angehören, warnt in einer Stellungnahme ebenfalls vor den Folgen des Vorhabens, das den internationalen Vorgaben der Nationalparks zuwiderlaufe: Die Staubecken würden nicht den Nationalpark-Kriterien der Weltnaturschutzunion IUCN entsprechen. Zudem werde mit der erforderlichen Änderung des Nationalparkgesetzes ein Präzedenzfall geschaffen, der auch Auswirkungen auf andere Nationalparks haben könne. Der Salzburger AV-Vorsitzende Roland Kals sagt es im Editorial der AV-Zeitschrift Hochhinaus deutlich: "Eine Gefährdung des Nationalparkstatus wäre ein unkalkulierbarer Schaden für die Republik, das Land und die Region."

Vorerst einmal deutet allerdings nichts darauf hin, dass Schwaiger das Vorhaben überdenkt. Er ist in der Landesregierung für den Hochwasserschutz wie für den Nationalpark praktischerweise gleichzeitig zuständig.

Und wie schaut es an Ort und Stelle aus? Was sagen die Betroffenen in den Seitentälern? Der STANDARD machte sich mit Zug und Rad auf den Weg und ist ins Krimmler Achental gefahren. Zuerst mit der Pinzgauer Lokalbahn bis Niedernsill, dann mit dem Rad hinauf nach Krimml und ins Achental zum Krimmler Tauernhaus. Das prächtige Anwesen auf über 1600 Meter Seehöhe ist Gastwirtschaft, Schutzhütte und Bauernhof in einem.

Die Baustelle der Pinzgauer Lokalbahn bei Niedernsill. Die Zugtrasse wurde durch das Hochwasser 2021 abschnittsweise vollkommen zerstört.
Thomas Neuhold

Wirt und Bauer ist Friedrich Geisler. Er ist auch Obmann der Wegegenossenschaft im Achental und vertritt damit 28 Mitglieder. Dass man den Hochwasserschutz im Oberpinzgau verstärken müsse, sagt auch er. Die Schäden an der Pinzgaubahn, die am Tauernradweg von Niedernsill entlang der Bahntrasse deutlich sichtbar sind, kennt auch er.

Aber Geisler hat Einwände. Er formuliert seine Bedenken ruhig und klar: Wie solle ein derart massives Bauwerk wie die Stauanlage binnen zweier Jahre über die schmale Zufahrtsstraße entlang der weltberühmten Krimmler Wasserfälle errichtet werden, ohne dass die tausenden Lkw-Fahrten den Tourismus massiv beeinträchtigen?

Und im Fall, dass die Anlage in Betrieb gehe, würden riesige Flächen von vier Almbauern unter Wasser gesetzt. Rinne das Wasser dann ab, blieben Schlamm und Geschiebe zurück. Jahrhundertealte Kulturflächen wären dann unwiederbringlich zerstört, da eine Renaturierung kaum möglich sei.

"Wir werden nicht gehört"

Inhaltlich ist die Mängelliste, die Geisler im STANDARD-Gespräch anführt, lang. Sie basiert auf einer Expertise seines Neffen Markus Geisler. Dieser ist als Bauleiter im Ingenieur-, Kraftwerks- und Wasserbau mit den inhaltlichen Problemen solcher Projekte einschlägig vertraut und hat ein alternatives Hochwasserschutzkonzept erarbeitet.

Dieses richtet sich nach den Vorgaben des Bundesministeriums für Land-, Forst-, Umwelt- und Wasserwirtschaft: "Je näher die Retentionsanlage am zu schützenden Standort ist, desto größer ist die Wirkung." Folglich liegen die von Geisler erarbeiteten Alternativstandorte für Retentionsbecken nicht im Hochtal, sondern weiter flussabwärts.

Wirkliche Antworten gebe es vom Land Salzburg aber nicht, berichtet Tauernwirt Geisler. Es sei inakzeptabel, "wie die Politik mit uns umgeht. Fragen werden nicht beantwortet, wir werden nicht gehört." Ein unabhängiges Expertenteam müsse die Planungen der Landesregierung überprüfen.

Ökonomische Interessen im Tal

Eine Erfahrung, die auch Landesumweltanwältin Gishild Schaufler macht. Sie habe bis dato keinerlei Ergebnisse der Kartierungen über Lebensräume und Tierarten erhalten. Solche Untersuchungen seien aber nach den Natura-2000-Auflagen der EU zwingend. Schaufler empfiehlt im STANDARD-Gespräch der Landesregierung auch, im Vorfeld eine Stellungnahme der EU-Kommission zu den Vorhaben einzuholen; es sei geschickter, vorher die EU einzubinden, als im Nachhinein die Planungen wieder abbrechen zu müssen.

Unterstützung finden die Almbauern beim Salzburger Naturschutzbund. Neben den Bedenken zum Thema Nationalpark übt Vorsitzender Winfrid Herbst deutliche Kritik daran: Die bisherigen Hochwasserereignisse hätten es nicht vermocht, ein erkennbares Umsteuern bei der Verbauung des Talbodens der Salzach zu erreichen. Die jetzigen Projekte seien ein Signal für "Weiter so!". Herbst befürchtet, dass die Ablehnung weiterer Retentionsbecken im Salzachtal zu weiterem Flächenfraß führe: Die dort vorhandenen Flächen würden als Gebietsreserve für Siedlungs-, Hotel- oder Gewerbebauten angesehen werden. (Thomas Neuhold, 2.10.2023)