Außenminister Alexander Schallenberg (l.) und sein Amtskollege Fuad Hussein bei einem Treffen im Irak im September.
Außenminister Alexander Schallenberg (links) war Mitte September zu Gast bei seinem Amtskollegen Fuad Hussein in Bagdad.
AUSSENMINISTERIUM/MICHAEL GRUBER

Wien/Bagdad – Mitte September kündigte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) "ein neues Kapitel in den Beziehungen" mit dem Irak an. Bei einem Besuch in Bagdad, bei dem auch offiziell die österreichische Botschaft wiedereröffnet wurde, betonte er mehrmals, dass es ihm auch um das Thema Migration ginge. Jetzt wird klar, was das konkret bedeutet: Mehrere irakische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sollen am Dienstag mit einer Chartermaschine von Wien in das krisengebeutelte Land abgeschoben werden.

Auf einer Liste der Fremdenpolizei sollen sich bis zu 40 Namen von Menschen befinden, die zwangsweise aus Wien nach Bagdad gebracht werden sollen. Bis zu zehn Personen sollen bereits in Schubhaft genommen worden sein. Der Großteil sind Asylwerber, deren Anträge teils schon vor mehreren Jahren abgelehnt wurden, heißt es vonseiten mehrerer NGOs im Asylbereich. Viele der Betroffenen seien gut integriert und hätten ein humanitäres Bleiberecht beantragt. Ein solcher Antrag hat allerdings keine aufschiebende Wirkung gegen eine Abschiebung.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wollte Fragen zum konkreten Abschiebetermin und zu den Betroffenen nicht kommentieren, da Rückführungen prinzipiell nicht bestätigt oder dementiert werden. Das BFA betont, dass jede Außerlandesbringung umfassend und individuell in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werde. Dabei werden insbesondere auch eventuell drohende Gefahren im Falle einer Rückkehr sowie allfällige Integrationsbemühungen berücksichtigt.

Lobby für Abschiebungen

Bisher waren Abschiebungen in den Irak kaum möglich, denn Bagdad lehnt zumindest offiziell zwangsweise Rückführungen aus Prinzip strikt ab. Der Irak drängt stattdessen darauf, dass EU-Staaten selbst Anreize für eine freiwillige Rückkehr irakischer Staatsbürger setzen.

Fix ist, dass die europäische Kommission und Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, seit geraumer Zeit intensiv daran gearbeitet haben, Bagdad von seiner ablehnenden Haltung gegenüber Abschiebungen abzubringen und die Zusammenarbeit im Bereich straffälliger Personen zu verbessern.

Polizeiattaché in Bagdad

In diesem Lichte ist auch Schallenbergs Irak-Reise zu sehen, bei der er auch den Bundespolizeidirektor Michael Takàcs im Schlepptau hatte. Fixiert wurde dabei, dass Österreich einen Polizeiattaché nach Bagdad entsendet. Jene Vereinbarung, die die Rückführungen betrifft, war laut Schallenberg und Takàcs bereits vor ein paar Monaten erfolgt. Genaue Details ließ Schallenberg dazu offen. Nur dass die Zahl der Rückführungen von bisher ein bis zwei Personen zuletzt auf 18 gestiegen sei, sich also "verzwanzigfacht" habe.

Die am Dienstag geplante Abschiebung in den Irak ist also keineswegs die erste im heurigen Jahr. Im April waren ein 28-jähriger und ein 30-jähriger Mann mit Polizeieskorten in Linienmaschinen nach Bagdad gebracht worden. Der jüngere Mann war in Österreich wegen "Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung" und "Aufforderung zu und Gutheißung von terroristischen Straftaten" rechtskräftig zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Auch sein älterer Cousin sei straffällig gewesen, heißt es in einer Aussendung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Die irakische Botschaft in Wien soll die Abschiebung ermöglicht haben, indem sie entsprechende Dokumente für die beiden Männer ausgestellt hat. Im Unterschied dazu soll es sich bei den jetzt vor der Abschiebung Stehenden um unbescholtene Menschen handeln.

Auch zwischen Berlin und Bagdad dürfte es im Frühjahr eine großteils geheim gehaltene Migrationsvereinbarung gegeben haben, wie WDR und NDR berichteten. Mit öffentlichen Informationen hielt man sich offenbar auch in Deutschland zurück, offenbar aus Sorge, der Irak könne die Verabredungen wieder fallenlassen.

Besuch verweigert

In Wien wollten Angehörige und Unterstützerinnen die Abzuschiebenden am vergangenen Samstag im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände (PAZ) noch ein letztes Mal besuchen. Dies wurde ihnen allerdings verweigert, obwohl es einen Rechtsanspruch auf Besuche gibt. In einem Video, das von Aktivistinnen mitgeschnitten wurde, ist zu hören, wie ein Beamter sagt, dass es "zu wenig Personal für Besuche" gebe. Danach hört man, wie er die Besucherinnen zum Gehen auffordert und einen von ihnen "Idiot" nennt.

Von der Landespolizeidirektion Wien heißt es, dass spontan, zusätzlich aufgekommene Aufgaben der Grund für die Abweisung waren. Der Vorfall werde dienstrechtlich geprüft. Einzelne Besucherinnen konnten ihre Angehörigen einen Tag später besuchen.

Mehrere Flüchtlingsorganisationen haben für Dienstagabend zu einer Protestkundgebung gegen die Charterabschiebung vor dem PAZ aufgerufen. Sie fordern die Freilassung der Schubhäftlinge. (Irene Brickner, Flora Mory, Laurin Lorenz, Johannes Pucher, 2.10.2023)