Assassin's Creed: Mirage Titelscreen, Blick auf Bagdad
In welche Stadt würden Sie gerne einmal virtuell reisen? Die wenigsten Menschen würden "Bagdad" als erste Wahl nennen.
Screenshot/Ubisoft

Es war das Jahr 2007, als der französische Publisher Ubisoft mit dem Spiel "Assassin's Creed" erstmals einen verhüllten Meuchelmörder auf ikonische Gebäude klettern und durch dunkle Gassen schleichen sowie fiese Handlanger eines sinistren Geheimordens Schritt für Schritt erdolchen ließ. Seitdem ist viel passiert: War der erste Teil noch in Jerusalem zur Zeit des Dritten Kreuzzugs angesiedelt, so schlichen und kletterten die Spielerinnen und Spieler in den Folgejahren unter anderem durch italienische Städte der Renaissance, die Karibik während der goldenen Zeit der Piraterie, Paris, London, das alte Ägypten, Griechenland zur Zeit des Peloponnesischen Krieges und zuletzt durch die Welt der Wikinger.

Reizvoll an den Spielen war dabei unter anderem, digitale Rekonstruktionen historischer Monumentalbauten nicht nur bestaunen, sondern auch beklettern zu können. Und während mit jedem Teil eine neue Ecke der Welt erkundet werden konnte, wuchsen auch die Regionen per se, die Gameplay-Elemente und die Spielzeit: Für den vorherigen Teil in der Welt der Wikinger, "Assassin's Creed: Valhalla", sollten allein für die Hauptstory über 60 Stunden Spielzeit anvisiert werden, für das gesamte Spiel kann man mit gut 140 Stunden Spielzeit rechnen. Immer mehr wurde das Schleich- und Meuchelkonzept durch komplexere Rollenspielelemente erweitert, Waffen und Rüstungen mussten erworben sowie Fähigkeiten erlernt und weiterentwickelt werden.

Assassin's Creed Mirage: Launch Trailer
Ubisoft

Das war vielen Menschen zu viel. Und so kehrt der jüngste Teil, "Assassin's Creed: Mirage", zu seinen Wurzeln zurück und besinnt sich auf alte Stärken. Der Spielbereich wurde deutlich verkleinert, beim Spielkonzept konzentriert man sich wieder aufs hinterlistige Erdolchen. Laut einem Bericht des Fachmediums IGN können für die Hauptstory nun zehn bis 17 Stunden veranschlagt werden. DER STANDARD hat "Mirage" rund zehn Stunden gespielt. Und festgestellt, dass dabei manches, aber nicht alles richtig gemacht wird.

Bagdad statt Karibik

"Assassin's Creed: Mirage" kehrt auch geografisch zu den Wurzeln, nämlich in den Nahen Osten, zurück, konkret reduziert man sich auf die Stadt Bagdad sowie die umliegenden Dörfer. Das ist eine deutlich Verkleinerung, konnte man doch in vorherigen Spielen von einer Metropole zur nächsten reiten oder im Piratenspiel "Assassin's Creed: Black Flag" mit dem Schiff von einer Karibikinsel zur nächsten segeln.

Was "Mirage" in Bezug auf das Weltdesign aber an Größe fehlt, das macht es an Tiefe wett. Die Bazare und Gassen Bagdads sind voller Menschen, die umeinander wuseln, es ist laut und staubig, die Hitze und der Dreck sind förmlich spürbar – zu spürbar, will man manchmal meinen: Reitet man auf einem vollbepackten Kamel im gleißenden Sonnenlicht über die staubige Straße an dekorierten Ständen vorbei oder rudert auf einem kleinen Boot durch enge Kanäle, so kann das zeitweise schon recht kitschig wirken.

Gameplay Assassin's Creed: Mirage. Das Bild zeigt ein Boot in einem Kanal. 
Bagdad ist in "Assassin's Creed: Mirage" eine belebte Stadt voller Abenteuer, der Stil streift nicht selten die Grenze zum Kitsch.
Screenshot/Ubisoft

Ein wenig mutig ist auch, dass die Wahl auf Bagdad fiel. Denn wie eingangs erwähnt liegt ein Reiz an den "Assassin's Creed"-Spielen im Beklettern ikonischer Bauten – von der Grabeskirche im Jerusalem des ersten Teils über den Galataturm in Istanbul in "Revelations" bis zu den Pyramiden in "Origins". Oder man genoss in "Black Flag" schlicht den Anblick weißer Karibikstrände. "Mirage" fehlt es hier am Wow-Gefühl, einen Ort im Spiel zu sehen, den man im Urlaub bereits in echt bereist hat (auf den man aber nicht klettern durfte) oder den man schon immer einmal bereisen wollte (Tickets in die Karibik sind nicht gerade günstig). Zwar sind auch in "Mirage" historische Orte als solche markiert, einen Wiedererkennungswert haben sie aber nicht wirklich.

Schleichen statt Schiff fahren

Apropos Karibik: Das in "Black Flag" eingeführte Spielkonzept, ein eigenes Schiff zu kaufen und weiterzuentwickeln, wurde hier weggelassen, es gibt nur die aus "Origins" bekannten Ruderboote für Flussfahrten. Auch wurde das Menü ordentlich aufgeräumt, es gibt deutlich weniger Fähigkeiten zu erlernen, wodurch wiederum Spielelemente fehlen, die in anderen Spielen Spaß machten: Im Ägyptenteil "Origins" konnten etwa Krokodile gezähmt und in Siedlungen geführt werden, damit sie dort Chaos anrichten. Ob nun in "Mirage" etwas fehlt oder solche Dinge zuletzt bloß eine Ablenkung von der eigentlichen Handlung darstellten, muss jeder selbst entscheiden.

Der Skilltree von Assassin's Creed: Mirage
Es gibt deutlich weniger Fähigkeiten zu erlenen. Wohl aber mit an Bord: ein treuer Raubvogel, der die Umgebung aus der Luft erkundet.
Screenshot/Ubisoft

Weniger Gestaltungsspielraum beim Ausrüsten von Waffen und Rüstungen bedeutet in "Mirage" übrigens auch: Wer offene Kämpfe wagt, der zieht oft den Kürzeren. Ratsamer ist es hier also wieder, sich schleichend fortzubewegen, sich in Büschen zu verstecken und auf Hausdächer zu klettern, um die Gegner anschließend reihenweise zu meucheln. Mit dieser Entscheidung besinnt man sich wieder klar auf die Stärken der Serie und hebt sich auch klar von anderen Actionspielen ab – Kritik muss aber leider auch an dieser Stelle sein: Teils wirkt es, als habe sich die KI der Gegner nicht sonderlich weiterentwickelt, das Verhalten selbiger grenzt stark an Fahrlässigkeit. So "bewachen" manche Soldaten einen Raum, indem sie auf eine geschlossene Tür starren. Andere stehen wenige Meter neben dem Gebüsch, aus welchem der Assassine ihre Kollegen meuchelt, und fallen ein paar Sekunden später auf den gleichen Trick herein.

Inventar in Assassin's Creed: Mirage
Auch das Inventar ist sehr übersichtlich gestaltet.
Screenshot/Ubisoft

Interessant gestaltet ist wiederum das Leveldesign. So finden sich die einzelnen Missionen nicht – wie in Spielen dieser Art üblich – auf Listen aus Haupt- und Nebenmissionen, sondern sind auf einer Art Mindmap angeordnet. Denn immerhin ist es Ziel des Spiels, das Oberhaupt eines geheimen Ordens ausfindig zu machen, und um dieses Ziel zu erreichen, müssen verschiedene Hinweise entdeckt werden, die sich wiederum in einzelnen Missionen manifestieren. Das bedeutet auch, dass mehrere dieser Missionen parallel gespielt werden können und man zu einer anderen Aufgabe wechseln kann, wenn man von der bestehenden frustriert ist, weil man schon länger nach einer scheinbar unauffindbaren Person oder einem vermeintlich unerreichbaren Ort sucht – was im Test leider auch ein paarmal geschehen ist.

Anfangs irritierend, aber eigentlich unterhaltsam ist auch das Konzept spezieller Münzen, die verschiedene Funktionen erfüllen. So können damit etwa Händler bestochen werden, um als deren Begleitung unbemerkt in eine hochbewachte Festung zu gelangen. Oder man hat schon so viel Mist gebaut, dass Zivilisten lauthals die Wachen rufen, sobald man einen Ort betritt: In dem Fall werden Marktschreier bestochen, um den guten Ruf wiederherzustellen. An die Münzen gelangt man wiederum, indem man heimlich Menschen in den geschäftigen Straßen bestiehlt, oder als Belohnung für Nebenmissionen, bei denen man etwa Bösewichte meucheln, Personen eskortieren, Schätze stehlen oder auch einmal ein Boot entführen muss.

Aalglatte Story statt Abstergo-Unterbrechungen

Apropos Handlung: Die gute Nachricht zuerst – während selbige in vorherigen Teilen immer unterbrochen wurde, um die Spielerin oder den Spieler in die Gegenwart zu holen und die Geschichte rund um die Abstergo-Verschwörung zu erzählen, ist dieses Element in den rund zehn Stunden STANDARD-Spielzeit in "Mirage" kein einziges Mal aufgetaucht. Das dürfte viele Fans freuen, diese Unterbrechungen waren nie sonderlich beliebt.

Ein Mann sagt:
Das Pathos schmerzt.
Screenshot/Ubisoft

Gleichzeitig muss betont werden, dass die Haupthandlung per se sicher keinen Kreativitätspreis gewinnt. Erzählt wird hier die Geschichte eines einfachen Diebes, der sich einer mysteriösen Gruppe aus Assassinen anschließt, welche gegen Korruption und einen sinistren Geheimbund aus maskierten Männern kämpft. Das ist nicht unbedingt eine neue Idee. Ebenso triefen die Dialoge teils vor fürchterlichem Pathos – "Solche Schmerzen schmieden unsere Pfade. Sie erinnern uns daran, wer wir sind. Und wer wir sein können" –, den meisten Charakteren fehlt es an Tiefgang. Emotional berührt ist man von "Mirage" so gut wie nie.

Fazit: Zum Glück nicht noch ein Rollenspiel

Wir schreiben das Jahr 2023. Und es gibt eine Sache, die die Welt nach "Baldur's Gate 3", "Diablo 4" und "Starfield" definitiv nicht gebrauchen kann: ein weiteres Rollenspiel. Von daher ist zu begrüßen, dass Ubisoft sich beim aktuellen Teil der bereits weitgereisten "Assassin's Creed"-Reihe auf seine Stärken besinnt und sich von der Konkurrenz abhebt.

Freilich ist "Mirage" längst kein perfektes Spiel, dafür gäbe es noch diverse Fehler auszumerzen, Story und Charaktere sind zu flach, und das Setting könnte ein spannenderes sein. Doch die Richtung ist eine interessante, die Raum für zukünftige Werke eines Franchise bietet, das schon öfters totgesagt wurde. Vorschlag: Wäre nicht das Wien der Habsburgermonarchie einmal ein interessantes Umfeld für eine Story voller Morde und Intrigen? (Stefan Mey, 6.10.2023)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: "Assassin's Creed: Mirage" ist seit 5. Oktober für Xbox Series X/S, Xbox One, PlayStation 5, PlayStation 4 und PC verfügbar, die Standardedition kostet 49,99 Euro. Ein PS5-Exemplar des Spiels wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.