Das Team von Notarity
Notarity-CEO Jakobus Schuster (Zweiter von rechts) verteidigt sein Start-up: "Wir erfüllen die Vorgaben auf Punkt und Beistrich."
Alexander Schindler

Seit Bekanntwerden einer Klage der Österreichischen Notariatskammer (ÖNK) gegen Notarity erreichen den STANDARD Sorgen von Usern der Plattform, die um deren Fortbestand fürchten. So schreibt Stefan Gutbrunner, Rechtsanwalt bei CHG Czernich Rechtsanwälte in Wien, dass er das System seit vielen Monaten verwende und es seinen beruflichen Alltag ungemein bereichere. "Unsere Klientinnen und Klienten schätzen vor allem die rasche und unkomplizierte Abwicklung von Notarterminen über die Plattform", schreibt der Anwalt. "Notartermine sind kurzfristig zu bekommen, und die beglaubigten Urkunden stehen in der Regel innerhalb nur weniger Stunden zur Verfügung." Er wolle es somit auch weiterhin nutzen.

Zum aktuellen Stand heißt es von Jakobus Schuster, Gründer und CEO von Notarity, dass die Plattform den Partner-Notariaten sowie ihren Kundinnen und Kunden wie gewohnt zur Verfügung stehe. Auf eine Online-Anfrage auf Notarity werde sich auch weiterhin eine Notarin oder ein Notar melden – wiewohl Schuster einräumt, dass die Wartezeiten derzeit ein wenig länger sein könnten. Nachfragen des STANDARD bei beiden Seiten des Prozesses zeigen aber, dass sich die Fronten noch weiter verhärten dürften.

Kammer klagt gegen Start-up

Am 29. September hat die ÖNK beim Handelsgericht Wien eine Klage eingebracht, die "der rechtlichen Klärung des Geschäftsmodells der Notarity GmbH" dienen soll, wie es in einer Aussendung hieß. Auf Anfrage des STANDARD nennt man seitens der Kammer, worin die Bedenken gegenüber dem Start-up konkret liegen: Die Notarity GmbH biete notarielle Rechtsdienstleistungen an, den geltenden rechtlichen Regelungen gemäß dürften dies jedoch nur Notarinnen und Notare, die "in etlichen Bereichen als öffentliche Amtspersonen, die von der Justizministerin ernannt wurden, handeln," heißt es aus der ÖNK: "Die rechtlichen Bedenken bestehen nach Ansicht der ÖNK zum Beispiel im Zusammenhang mit den Verpflichtungen der Notarinnen und Notare zur persönlichen Erbringung ihrer Dienstleistungen, den Pflichten im Zusammenhang mit rechtmäßiger Preisfestsetzung und Abrechnung, Abtretung von Honorarforderungen und Geheimhaltung sowie der Einhaltung von Werbebeschränkungen."

Bei Notarity ist man naturgemäß anderer Meinung, sieht sich als Vermittler zwischen Notaren und Klienten und betont, dass sowohl die Plattform als auch die Partner-Notare alle geltenden Regeln befolgen. "Die gerichtliche Prüfung bietet uns einen guten Anlass, alle unsere Prozesse noch einmal genau zu evaluieren, und verspricht immer auch zusätzliche Rechtssicherheit", sagt dazu Schuster auf eine weitere Anfrage des STANDARD. "Selbst die Klage der Kammer lässt keinen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit von Online-Beglaubigungen an sich." Die technische Abwicklung sei in der Notariatsordnung klar geregelt. "Wir erfüllen diese Vorgaben auf Punkt und Beistrich", so Schuster.

Notare, die Standesrecht verletzen?

Bei Notarity hatte man bereits zuvor betont, dass ein Viertel der österreichischen Notariatskanzleien bereits ihre Leistungen über die Plattform anbieten. Diese sind freilich auch Mitglied in der Kammer. Wie reagieren diese also auf das Vorgehen der ÖNK gegen eine Plattform, die sie selbst regelmäßig nutzen? Hier antwortet man auf Anfrage, dass es Aufgabe der Kammer sei, "die Standesmitglieder vor möglichem Schaden zu schützen". Die ÖNK gehe davon aus, dass das Geschäftsmodell der Notarity GmbH nicht den geltenden rechtlichen Regelungen entspricht, und erwarte sich, durch das Verfahren "die für Klienten, Notare, aber auch für Anbieter von technischen Leistungen im Bereich der Rechtsberatung notwendige Rechtssicherheit herstellen zu können".

Auch hier zeichnet das Start-up ein etwas anderes Bild: "In der Klage werden Notaren, die mit uns kooperieren, auch Verletzungen des Standesrechts vorgeworfen", sagt Schuster. Die Klage sei durch die ÖNK auch allen Notarinnen und Notaren via E-Mail geschickt worden. "Nach unserer Meinung hat das – verständlicherweise – zu Verunsicherung bei Notariaten geführt", so Schuster. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese Unsicherheiten bei unseren Partner-Notariaten aus dem Weg zu räumen."

ÖNK: "Begrüßen Weiterentwicklungen"

Im STANDARD-Forum geäußerte Vermutungen mancher Userinnen und User, die ÖNK wolle mit der Klage einen Konkurrenten zu eigenen Angeboten – etwa der digitalen GmbH-Gründung – ausschalten, bestreitet man in der Kammer ebenfalls: "Die ÖNK hat die Entwicklung von technischen Systemen zur Digitalisierung der Notariate mit der Entwicklung der digitalen GmbH-Gründung selbst angestoßen", heißt es. "Die ÖNK begrüßt diesbezügliche Weiterentwicklungen auf Basis der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, weil damit die Digitalisierung der Notariate weiter vorangetrieben werden kann."

Dass entsprechende Gespräche zu einer gemeinsamen Lösungsfindung nicht gefruchtet haben, dafür schieben sich die beiden Akteure gegenseitig die Schuld zu. Diese Woche hatte sich Benjamin Hadrigan, Gründer der App Lernsieg, in einem ähnlichen Verfahren zu Wort gemeldet: Nach massiver Kritik aus der Lehrergewerkschaft an seiner App, mit der Lehrkräfte bewertet werden können, vier Zivilklagen und rund 50 Datenschutzverfahren wünscht er sich, dass sich die Akteure in solchen Fällen "an einen runden Tisch setzen, um eine gemeinsame Lösung zu finden". (Stefan Mey, 14.10.2023)