15 Termine, hundert Sitzungsstunden, 29 Zeuginnen und Zeugen, 191 Beweisanträge sowie 700 Seiten Protokoll. Das ist die numerische Bilanz der gemeinderätlichen Untersuchungskommission, die die Geschehnisse rund um die finanziellen Hilfen der Stadt Wien für die Wien Energie im Sommer 2022 aufgearbeitet hat. Nötig geworden waren diese, weil der städtische Energieversorger durch die Preissprünge am Energiemarkt für den Börsenhandel von Strom und Gas hohe Sicherheitsleistungen hinterlegen musste, sie aber nicht mehr selbst aufbringen konnte.

Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) stellte deshalb ab Juli 2022 per Notkompetenz insgesamt 1,4 Milliarden Euro bereit. Bekannt wurde dies aber erst Ende August 2022, als auch diese Mittel knapp wurden. Der Bund gewährte daraufhin weitere zwei Milliarden Euro. Das Wiener Darlehen wurde mittlerweile zurückgezahlt, jenes des Bundes letztlich nicht benötigt.

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) gab sich bei seiner Aussage vor der U-Kommission im März demonstrativ entspannt. Einer der Effekte der Prüfung: Die Notkompetenz des Stadtchefs soll nun klarer definiert werden.
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Um die politischen Verantwortlichkeiten aufzuklären, initiierten ÖVP und FPÖ im Dezember eine U-Kommission. Mit Ziel, vor allem zwei Fragen zu untersuchen. Erstens, ob Ludwig und sein Parteikollege, Finanzstadtrat Peter Hanke, ihre Eigentümerrechte gegenüber der Wien Energie adäquat wahrgenommen haben. Und zweitens, ob der Bürgermeister die Finanzspritzen zu Recht per Notkompetenz und damit ohne Vorab-Involvierung von Stadtsenat oder anderen Gremien vergab. Die Antworten der Fraktionen darauf in ihren Endberichten fallen höchst unterschiedlich aus.

SPÖ und Neos: Alles gedeckt

Für die Regierungsparteien SPÖ und Neos brachte die U-Kommission keine Hinweise auf rechtlich ungedeckte Vorgangsweisen. Stadtrat Hanke und das Management der Wien Energie hätten sich regelmäßig über den Energiemarkt ausgetauscht, heißt es im 250 Seiten starken, rot-pinken Bericht mit dem Titel "Klare Antworten, konkrete Ergebnisse". Mit Kriegsbeginn in der Ukraine hätten sich die Gespräche "intensiviert", wie Zeuginnen und Zeugen ausgesagt hätten.

Die Vergabe der Gelder per Notkompetenz war laut Regierungsbericht "alternativlos". Fünf Stellen hätten die Rechtmäßigkeit "geprüft und bestätigt". Finanzausschuss, Stadtsenat und Gemeinderat seien in den nächstfolgenden Sitzungen informiert worden, somit sei auch diese Vorgabe "korrekt eingehalten" worden. Ob dies – wie von der Stadtverfassung vorgeschrieben – "unverzüglich" sei, habe "für Kontroversen gesorgt", wird eingeräumt. Eine Arbeitsgruppe soll daher nun den Begriff klären und Zeithorizonte definieren. Insgesamt konnte ein Fehlverhalten bei der Ausübung der Notkompetenz durch die U-Kommission aber "nicht nachgewiesen werden".

FPÖ: Versagen und bewusste Umgehung

Gänzlich anders fallen Resümee und Tonalität der FPÖ aus. Die U-Kommission habe ein "massives Aufsichtsversagen" von Ludwig und Hanke gegenüber der Wien Energie offengelegt, heißt es im 28-seitigen blauen Bericht. Aufgefallen sei etwa die Tatsache, "dass bei Terminen weder Gesprächsprotokolle noch Handlungs- bzw. Aufgabenprotokolle erstellt wurden." Problematisch ist für die Freiheitlichen auch die Besetzung des Aufsichtsrat der Stadtwerke, zu denen die Wien Energie gehört: Die FPÖ unterstellt den Mitgliedern ein Naheverhältnis zur SPÖ.

Ludwig habe versucht, die Notkredite zu verschleiern, halten die Blauen weiter fest. Mit der Notkompetenz habe er "im vollen Bewusstsein den Stadtsenat umgangen", obwohl ein Beschluss durch diesen – wenn schon nicht bei physischer Anwesenheit der Mitglieder, dann zumindest auf dem Umlaufweg – möglich gewesen wäre.

Zudem beklagt die FPÖ, wie auch die anderen Oppositionsparteien ÖVP und Grüne, dass viele Unterlagen nicht den Weg in die Kommission fanden. Jene aus der Wien Energie nicht, da es sich um ein ausgegliedertes Unternehmen handelt, das das Gremium nicht direkt prüfen darf. Und jene aus dem Magistrat nicht, weil Lieferungen "dürftig bis nicht gegeben" gewesen seien, kritisiert Klubchef Maximilian Krauss.

ÖVP: Unabhängige Kontrolle unmöglich 

Aus ÖVP-Sicht brachte die U-Kommission eine ganze Reihe von Mängeln bei der Notkompetenz ans Licht. Unklar seien die Voraussetzungen zur Ausübung, die Hierarchie von Bürgermeister bzw. Stadtsenat dabei und was genau eine "unverzügliche" Information ist, heißt es im 55-seitigen türkisen Bericht. Klubchef Markus Wölbitsch ist überzeugt, dass Ludwig jedenfalls ein größeres Entscheidungsgremium mit der Causa befassen hätte können: "Es wäre möglich gewesen, zumindest einen Stadtsenat einzuberufen."

Weiterer Kritikpunkt der Volkspartei ist die Anteilsverwaltung der Stadt. Diese sei nicht professionell aufgestellt und könne die Eigentümerrechte nicht ausüben. Wie die FPÖ stören sie sich auch die Türkisen an der Besetzung des Stadtwerke-Aufsichtsrats, wenn auch abgemilderter Form: Problematisch sei, dass dort Personen sitzen, die "auch ein Dienstverhältnis mit der Stadt haben", formuliert die Volkspartei. Das verunmögliche unabhängige Kontrolle.

Grüne: Unbefriedigende Aufkärung

Klar ist für die Grünen, dass Stadtrat Hanke sein Eigentümervertreterrecht in der Causa nur unzureichend wahrgenommen habe. Anders als im rot-pinken Abschlusspapier dargestellt, seien Treffen mit der Wien Energie "nicht einmal nach Ausbruch des Ukrainekrieges" verdichtet worden, ist im 42-seitigem grünen Abschlussbericht zu lesen.

Die Aufklärung der Hintergründe zur Notkompetenz in der U-Kommission habe sich als "unbefriedigend" gestaltet, halten die Grünen fest. Klar sei aber: Ludwig habe andere Gremien "nicht zum rechtlich nächstmöglichen Zeitpunkt" informiert und mit der Genehmigung der Finanzhilfen betraut, sondern erst "in den nächsten nach dem Jahresplan festgelegten Sitzungsterminen".

Reform verlangt – und in Aussicht

Am Mittwoch wird der Wiener Gemeinderat den rot-pinken Bericht – quasi als offiziellen Abschlussbericht – beschließen. Damit ist das Ende der sechsten U-Kommission in der Geschichte Wiens amtlich. Nicht vorbei ist aber die Debatte um das Gremium an sich: Die Stadtregierung hat bereits eine erneute Reform der Spielregeln in Aussicht gestellt. Unter anderem sollen die Aufgaben des Schiedsgremiums, das über Beweisanträge entscheidet, konkretisiert werden.

Die FPÖ verlangt noch mehr – etwa einen Rechtsanspruch darauf, dass Akten, deren Beischaffung beschlossen worden ist, auch tatsächlich geliefert werden müssen. Sie lädt die anderen Oppositionsparteien nun dazu ein, gemeinsam einen Notariatsakt zu unterzeichnen, wonach man künftig nur in eine Regierung geht, wenn eine Reform tatsächlich umgesetzt wird. (Stefanie Rachbauer, 17.10.2023)