Als Felix Sorantin auf seinem Handy zahlreiche Meldungen über Luftalarme in Israel aufscheinen sah, dachte er erst, etwas stimme mit dem Alarmsystem nicht. "Als gutgläubiger Idiot dachte ich mir, vielleicht wurde die Website gehackt", sagt der Grazer im Gespräch mit dem STANDARD. Erst später wird Sorantin der Ernst der Lage bewusst.

Zu dem Zeitpunkt befand er sich mit seiner Frau in einem Schutzraum im Norden Tel Avivs. Dreimal hörte Sorantin am Samstagmorgen die Alarmsirenen heulen. "Du rennst dann so schnell du kannst in einen Schutzraum und wartest auf ein dumpfes 'Boom'. Das bedeutet, dass die Rakete, die in deine Richtung kam, abgefangen wurde", sagt der 34-Jährige. Nach und nach wurde ihm das Ausmaß des Angriffs der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am Samstag, dem 7. Oktober, bewusst. "Mir wurde dann klar, dass es nicht die, wie man so sagt, üblichen Angriffe waren."

Eigentlich war Sorantin zu Besuch bei der israelischen Familie seiner Frau zum Laubhüttenfest. Seine österreichische Familie sollte noch am Samstag nachreisen. Nach einem Morgen voller Sirenenalarm riet Sorantin seinen Verwandten, zu Hause zu bleiben. Das, was folgte, beschreibt er als ein Gefühl der Machtlosigkeit: "Man konnte nur schauen, was passiert – von einer Stunde auf die nächste."

Noch am Samstag rief Israel den Kriegszustand aus und startete zahlreiche Gegenangriffe auf Gaza. Rund 300 Österreicherinnen und Österreicher wollten nach dem Großangriff gegen Israel das Land verlassen. Sorantin entschied mit seiner Frau vorerst in Tel Aviv zu bleiben. Er habe die Familie nicht im Stich lassen wollen. Länder, wie Polen, Ungarn, Albanien und Rumänien haben noch vor Österreich Evakuierungsflüge organisiert.

Wien riet hingegen zu kommerziellen Flügen. So auch Sorantin, der bei der Botschaft nach Ausreisemöglichkeiten suchte. Zahlreiche Personen hätten mit Unterstützung der Österreichischen Botschaft Tel Aviv auf kommerziellen Flügen nach Österreich verlassen können, hieß es vom Außenministerium gegenüber dem STANDARD. Von diesen hätte es auch nach dem Angriff noch genügend gegeben. Sorantin schildert die Lage anders. „Das war so, wie manche Leute Konzerttickets buchen: Man lädt die ganze Zeit die Seite neu. Und irgendwie haben wir dann Tickets bekommen."

Ankünfte von Evakuierten aus Israel und Palästinensergebieten in Wien
Am Mittwoch startete die Evakuierung durch die österreichische Regierung.
APA/MAX SLOVENCIK

Panne der Hercules

Zwei Tage nachdem die Hamas Israel überfallen hatte, stand Sorantin am Flughafen. Da heulten erneut die Sirenen. Alle mussten ihre Sachen am Gate zurücklassen und in den Schutzraum des Flughafens. "Manche Leute fingen an zu beten, andere machten irgendwelche Videos für Tiktok", erinnert sich Sorantin. Auf seinem Handy checkte er den Status seines Flugs und sah, dass er gestrichen wurde und nach Zypern abdrehte.

An diesem Montag sprach Sorantin mit anderen Österreichern, die denselben Flieger nach Wien nehmen wollten und am Flughafen gestrandet waren. "Da waren auch ältere Leute dabei, die verloren waren." Die Ticketschalter seien überfüllt gewesen. Menschen mit technischen oder finanziellen Einschränkungen seien der Situation einfach ausgeliefert gewesen. Am Dienstag kündigte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) die Evakuierung von Österreicherinnen und Österreichern an, zu spät, wie SPÖ-Abgeordnete Petra Bayr kritisierte.

Nach einer Panne des Militärtransporters Hercules startete die Evakuierung am Mittwoch. Passagiermaschinen der AUA brachten die Menschen in Sicherheit. Die ursprüngliche Entscheidung für die veraltete Hercules (Baujahr 1966) begründet das Außenministerium damit, dass Österreich keine zivilen Regierungsmaschinen besitzt. Als jedoch klar wurde, dass die Hercules nicht fliegen konnte, habe man binnen weniger Stunden eine Alternative organisiert.

Für Sorantin kam die Ankündigung der Evakuierung zu spät. Am Dienstag trat er die Heimreise an. Als sich die österreichische Botschaft bei dem Grazer gemeldet hatte, befand er sich gerade auf einem Zwischenstopp in Athen. Von dort aus ging es nach einem Tag weiter nach Wien und schließlich Berlin, wo er mit seiner Frau lebt. Die Ausreise war wie eine Odyssee, sagte Sorantin.

"Du siehst dann auf Twitter (mittlerweile X, Anm.) und den Medien, dass jeder österreichische Politiker betont, wie sehr man an der Seite Israels stehe. Aber eure eigenen Leute müssen sich verstecken, weil ihr nicht in der Lage seid, sie aus einem Kriegsgebiet auszufliegen", kritisiert er die Vorgehensweise Österreichs. Man hätte die Evakuierung viel früher organisieren sollen, meint er. „Mein Learning ist eben ganz klar, dass ich mich leider in dem einen Krisenfall nicht auf die Regierung in Österreich verlassen kann." In einer Stellungnahme dem STANDARD gegenüber betonte das Außenministerium hingegen das gelungene Krisenmanagement. 430 Personen, darunter 305 Österreicher, wurden von der Regierung per AUA-Passagiermaschinen ausgeflogen. (Isadora Wallnöfer, 18.10.2023)