Das muss man dem Mann lassen: François-Henry Bennahmias hat ein Gespür für Trends, gepaart mit einer gesunden Abneigung gegen Konventionen. Er war 2004 auf einer Party in New York eingeladen. Dort vergnügte sich die (Wirtschafts-)Elite der Stadt. Genau die Zielgruppe also für das Produkt, das der damalige Managing Director von Audemars Piguet North America verkaufte: Schweizer Luxusuhren.

Bennahmias machte in dieser schicksalhaften Nacht eine andere Beobachtung, mit der er Audemars Piguet (AP), und in der Folge die Uhrenindustrie für immer verändern sollte. Denn unter die alten weißen Männer hatte sich eine neue Elite gemischt – Stars der Hip-Hop- und Rap-Szene wie P. Diddy und Jay-Z. Der Musikfan muss in diesem Augenblick erkannt haben, dass diese Subkultur endgültig auf dem Sprung in den Mainstream war.

DJ Khaled (re.) (hier auf dem Bild mit Jay-Z (li.) und P. Diddy): Der Künstler steht auf teure Uhren. Hier trägt er eine Patek Philippe Nautilus Chronograph. Wie sichs für einen Rapper gehört mit viel Gold und Diamanten. Die Zusammenarbeit mit Jay-Z wiederum brachte Audemars Piguet einer neuen Zielgruppe näher.
DJ Khaled (re.) (hier auf dem Bild mit Jay-Z (li.) und P. Diddy): Der Künstler steht auf teure Uhren. Hier trägt er eine Patek Philippe Nautilus Chronograph. Wie sichs für einen Rapper gehört mit viel Gold und Diamanten. Die Zusammenarbeit mit Jay-Z wiederum brachte Audemars Piguet einer neuen Zielgruppe näher.
REUTERS

Bennahmias witterte eine Chance, bahnte eine Kollaboration mit Jay-Z an. Ein Vorgang, der damals noch ohne Beispiel war. Ein Jahr später kam die Royal Oak Offshore Jay-Z 10th Anniversary Limited Edition auf den Markt. Auf 100 Stück limitiert, wurde sie in einer speziellen Box inklusive eines iPods mit den Alben des Rappers präsentiert – und war innerhalb von sechs Wochen ausverkauft. Sie sollte die über die Uhrenwelt hinaus kaum bekannte, altehrwürdige, aber leicht angestaubte Manufaktur mit Sitz im Vallée de Joux in neue Sphären katapultieren und Bennahmias auf den Chefsessel von AP.

Absolutes Neuland

Die Verbindung von Subkultur und Luxus war ein absolutes Novum, wird sich Bennahmias, der Ende 2023 seinen Posten zugunsten einer Frau räumen wird, später erinnern: "Wir waren das erste Luxusuhrenunternehmen, das sich der Street-Culture zuwandte." Etablierte Medien wie die "Financial Times" konnten nicht umhin, dem Schachzug des Herrn Bennahmias Respekt zu zollen.

Ganz nüchtern sieht es Philippe Roten: Jay-Z habe mit seiner medialen Präsenz und seinem Erfolg AP als Statussymbol etabliert, hält der Chef der Gebrauchtuhrenplattform Chronext fest. Er ist sich sicher, dass dies, gepaart mit limitierten Sondermodellen, den Hype und die Nachfrage angeheizt habe. "Die Kunden eifern einem bestimmten Lifestyle nach und wollen mit solchen teuren Accessoires dazugehören."

Dwayne Johnson wirft sich in Pose und präsentiert bei der Gelegenheit auch gleich seine TAG Heuer Monaco
Dwayne Johnson wirft sich in Pose und präsentiert bei der Gelegenheit auch gleich seine TAG Heuer Monaco "Night Drive".
Vianney Le Caer/Invision/AP

Und dennoch: AP schuf letztendlich einen Präzedenzfall für die gesamte als konservativ geltende Schweizer Uhrenindustrie, die auch in der Gegenwart nicht zwangsläufig im Verdacht steht, besonders progressiv zu sein. Noch heute loben Beobachterinnen und Beobachter der Uhrenszene den Mut von AP, einem Rapper, zumal einer Person of Color, eine eigene Uhr gewidmet zu haben. Auch weil Hip-Hop damals noch vor allem mit Baggypants, frisierten Autos und halbnackten Frauen, die als Beiwerk in einschlägigen Videos mit ihren Hintern wackeln, assoziiert wurde.

Streben nach materiellen Gütern

Abgesehen davon und ohne darauf eingehen zu wollen, dass Hip-Hop die wichtigste, innovativste Musikrichtung der letzten Jahrzehnte war und ist: Kaum eine andere Subkultur hätte sich wohl mehr angeboten als diese. Wo sonst stehen Statussymbole und das Streben nach materiellen Gütern höher im Kurs? "Get rich or die tryin‘", wie der Rapper 50 Cent es formulierte.

Pharell Williams, der Künstler und Kreativdirektor der Herrenabteilung bei Louis Vuitton, hat ein Faible für Richard Mille. Hier trägt er die RM UP-01 Ferrari der Marke. Sie ist derzeit die flachste mechanische Uhr der Welt.
Pharell Williams, der Künstler und Kreativdirektor der Herrenabteilung bei Louis Vuitton, hat ein Faible für Richard Mille. Hier trägt er die RM UP-01 Ferrari der Marke. Sie ist derzeit die flachste mechanische Uhr der Welt.
IMAGO/Riccardo Giordano / ipa-ag

Erstaunlich oft besingen Künstlerinnen und Künstler in ihren Lyrics Luxusuhren. "Your pretty pussy good give you Rolex watch." Diese Punchlines stammen allerdings nicht von einem hartgesottenen Gangsta, sondern von einer Lady, nämlich Lady Saw. Der Song heißt "Pretty Pussy". "Baby girl, let’s have some rich sex / I’mma keep my AP on while I do it / We can keep an AP on while we do it", rappt wiederum Future auf "Rich $ex" aus dem Jahr 2015.

Annäherung an den K-Pop: Chopard setzt auf die Musikerinnen der K-Pop-Band Aespa, um die Modelle Ice Cube und Alpine Eagle in Szene zu setzen.
Annäherung an den K-Pop: Chopard setzt auf die Musikerinnen der K-Pop-Band Aespa, um die Modelle Ice Cube und Alpine Eagle in Szene zu setzen.
Chopard

Für viele Jugendliche war es der Inhalt dieser Songs, der sie zum ersten Mal mit dem Thema Luxusuhren in Berührung brachte – in einer Zeit, wo Instagram noch kein großes Ding war. "Ich habe durch den Rap viel über Uhren gelernt", bekundet zum Beispiel Brynn Wallner. Die 33-jährige New Yorkerin stieg 2020 in die Uhrenbranche ein, als sie Dimepiece, eine Uhrenplattform für Frauen, gründete. Sie ist der Meinung, dass die Branche die Rolle der Populärkultur, insbesondere der schwarzen Kultur, für ihren Erfolg noch nicht vollständig erkannt habe. Uhren seien beliebter als früher, aber die Marken wollten nicht zugeben, woher dies rühre, gab sie in einem Artikel in "Business of Fashion" zu Protokoll.

Die Handgelenke der Popstars

Uhren seien heute prinzipiell viel präsenter, stellt Tim Stracke fest. Der Chef einer der weltgrößten Uhrenhandelsplattformen, Chrono24, führt dies ebenfalls auf die Popkultur zurück, betont aber im gleichen Atemzug die gestiegene Bedeutung von Social Media. Es gebe hier ein Wechselspiel, das bis in den Secondhand-Uhrenmarkt hinein seine Wirkung entfalte.

Gespottet: Football-Star Tom Brady und seine Rolex Day-Date mit "Puzzle-Ziffernblatt".

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass meist junge "Watchspotter" oder "Watchheads" ganz genau beobachten, welche Stars welche Zeitmesser bei welcher Gelegenheit tragen – und dies bevorzugt auf Instagram teilen. Ben Clymer, Gründer der einflussreichen Uhrenplattform Hodinkee, hat eine klare Meinung dazu: "Die Leute interessieren sich heute viel mehr dafür, wer was trägt und warum, als für die Uhren selbst." Vergleichbar also mit jenen althergebrachten Fotostrecken von den Red Carpets dieser Welt. Nur dass statt der Outfits der Stars eben ihre Ticker im Mittelpunkt stehen. Wenn Jay-Z beim Besuch eines Basketballspiels eine Vintage Patek Philippe trägt, ist das für diese Szene interessanter als seine Begleitung, also Beyoncé.

Als vor kurzem Ed Sheeran die Hochzeit eines Paars in Las Vegas "crashte", war die Community ganz aus dem Häuschen. Aber nicht, weil sie die Aktion so toll fand, sondern weil der Singer-Songwriter die gehypte Fifty Fathoms x Swatch trug. Auch Rihannas diamantenbesetzte Jacob & Co, die sie bei ihrem Superbowl-Auftritt trug, sorgte für Begeisterung.

Ed Sheeran crasht eine Hochzeit. An seinem Handgelenk: Die Swatch x Fifty Fathoms.

Der Verdacht liegt nahe, dass hier vonseiten der Hersteller auch ein paar Dollar geflossen sind, damit sich die Stars mit den jeweiligen Zeitmessern in der Öffentlichkeit zeigen. Doch weit gefehlt: Patek, obwohl in der Kategorie "Rapper’s Favourite" abzuheften, lehnt Kooperationen ab, Rihanna hat sich ihre Jacob & Co aus eigener Tasche bezahlt. Und Ed Sheeran hat sich seine Swatch wohl nicht schenken lassen (müssen). Der Künstler verfügt über eine bemerkenswerte selbstfinanzierte Uhrensammlung, über die er auch gerne spricht.

Die Leute abholen

"Die Popkultur wurde zu einer Art Medienkanal", resümiert George Ciz, Chief Marketing Officer bei TAG Heuer. Es gehe darum, Uhren in eine Beziehung mit etwas zu setzen, das die Menschen lieben. Anders formuliert: Da ein jüngeres, globaleres und meinungsstarkes Publikum eigene Watch-Communitys aufbaut, müssen die Marken entscheiden, wie sie Verbraucherinnen und Verbraucher dort abholen, wo ihre Interessen liegen.

Kylian Mbappé ist Teil der
Kylian Mbappé ist Teil der "Hublot-Familie". Als erste Luxusuhrenmarke hatte Hublot die Zugkraft des Massensports Fußball erkannt.
Hublot

Es erstaunt daher, dass vor Hublot keine Marke auf die Idee gekommen ist, sich einem Massensport mit Milliarden Fans auf der ganzen Welt zuzuwenden: dem Fußball. Denn von jeher bevorzugte die Uhrenindustrie eher elitäre Sportarten wie Formel 1, Golf, Tennis und Segeln. Fußball als "Volkssport" schien da nicht ins Konzept zu passen. Bis eben Hublot kam. Heute sponsert die Luxusuhren­marke u. a. die Fifa-Weltmeisterschaft. Man zählt Mbappé und Alex Morgan, die zweifache ­amerikanische Gewinnerin der Frauen-Fußball-WM, zu seinen Botschaftern. Der Blick über den Tellerrand, der Bruch mit Konventionen hat auch AP nicht geschadet: Die Firma verbuchte 2023 einen Umsatz von über zwei Milliarden Schweizer Franken. Vor 20 Jahren waren es noch 300 Mil­lionen. (Markus Böhm, RONDO, 26.10.2023)