Ballett
Alessandra Ferri kann als vielversprechende Wahl eingeschätzt werden.
Amber Hunt

Wien – Es geht auch ganz anders. Erstmals wurde nach Martin Schläpfers Entschluss, seinen bis 2025 laufenden Vertrag nicht zu verlängern, die künftige Leitung des Wiener Staatsballetts ausgeschrieben. Es gab vierzig Bewerberinnen und Bewerber. Staatsoperndirektor Bogdan Roščić und Volksoperndirektorin Lotte de Beer hatten die Wahl, und sie fiel auf eine der weltweit höchstgelobten Ballerinen: Alessandra Ferri (60).

Roščić war mit der Entscheidung, am Start seiner Amtszeit 2020 den Schweizer Choreografen Schläpfer als Ballettdirektor zu engagieren, ein Risiko eingegangen. Es war klar, dass dieser als Künstler die unter dessen Vorgänger Manuel Legris hervorragend aufgestellte Compagnie seinen Bedürfnissen entsprechend umbesetzen würde.

Was bei jedem anderen Ballett im Land kein größeres Problem gewesen wäre. Aber für die hundertköpfige Wiener Truppe mit ihrer speziellen Geschichte und dem herausfordernden Auftrag, klassisches Ballett genauso exzellent zu präsentieren wie das moderne, funktioniert dieser Zugang nicht.

Beide Opernhäuser

Das eigenständige Charisma der Compagnie wurde durch ein an Schläpfers Vorstellungen orientiertes Bild ersetzt. Bei seinen eigenen Stücken ist das ein Gewinn, bei den anderen hat es sich zuweilen als ein Verlust erwiesen. Für Schläpfer, der noch dazu die Tänzerinnen und Tänzer durch die harten Corona-Zeiten navigieren musste, führte all das zu dem Entschluss, es bei einer Funktionsperiode bleiben zu lassen.

Mit de Beer hatte Roščić jetzt im Zuge der Nachfolge-Beratungen eine zweite Sicht auf die Personalie an der Seite. "Ich glaube, dass Alessandra Ferri die ideale Person dafür ist, das Staatsballett zu inspirieren", sagt de Beer mit dem ihr eigenen Enthusiasmus. Das Ballett ist und bleibt zwischen Staats- und Volksoper aufgeteilt, das heißt, es wird auch weiterhin die jeweils eigenständigen Profile beider Häuser bedienen müssen.

Anders ist künftig, dass Alessandra Ferri die Compagnie als seit mehr als vierzig Jahren bis heute aktive Tänzerin nicht als Choreografin, sondern ausschließlich "kuratierend" leiten und betreuen wird. "Es gibt heute exzellente Choreografen, die mit klassischen Compagnien arbeiten können", sagt die Ballerina und führt als Beispiel Wayne McGregor an, der viel Erfahrung mit dem Londoner Royal Ballet besitzt "und mit dem ich kommenden Juni meinen wahrscheinlich letzten Auftritt in New York haben werde".

Tradition mit Zukunft

Ferri weiß sowohl, wie große Häuser funktionieren, als auch, was die Tänzerinnen und Tänzer brauchen. Das Wiener Staatsballett sei, so fasst sie ihre Vorstellung davon zusammen, "eine großartige klassische Compagnie, die in einer Tradition verwurzelt ist, die erhalten werden muss, aber in der Gegenwart lebt und in die Zukunft schaut".

"Es gab eine Veränderung in der Aufmerksamkeit und Energie" beim Ballett unter der Staatsoperndirektion von Dominique Meyer, sagte Roščić beim Pressegespräch: "Die Sparte wurde am Haus aufgewertet." Oper und Ballett seien gleichwertig für ihn, versichert er. Tatsächlich lagen 2019 gegen Ende der Ballettleitung von Manuel Legris die Besucherzahlen beim Tanz im Verhältnis zeitweise sogar etwas höher als bei den Opernaufführungen.

Die Wahl von Alessandra Ferri kann als ausgesprochen vielversprechend eingeschätzt werden. Ferri wird auch die Leitung der Ballettakademie übernehmen und will weiterhin, so wie aktuell Martin Schläpfer, junge Choreografinnen und Choreografen fördern. (Helmut Ploebst,24.10.2023)