Kontrollen von Handtaschen und Rucksäcken auch auf offener Straße. Mehr Polizeipräsenz. Zusätzliche Sicherheitsschleusen: Der Terror und die Sorge vor weiteren Anschlägen durch Islamisten sind nach Brüssel und nach Europa zurückgekehrt. Und damit auch die Unsicherheit, wie man mit den neuen Bedrohungen, die sich aus dem jüngsten Krieg im Nahen Osten ergeben, langfristig umgehen soll.

Das war am Donnerstag bereits zum Auftakt des EU-Gipfels der 27 Staats- und Regierungschefs der Union in der belgischen Hauptstadt sogar physisch zu spüren.

Kommissionschefin von der Leyen: Volle Solidarität mit Israel, Verdreifachung der Hilfen für Palästinenser.
IMAGO/HATIM KAGHAT

Vor einer Woche hatte ein illegal in Belgien befindlicher Tunesier im Stadtzentrum zwei schwedische Fußballfans erschossen. Auch wenn sich dabei kein direkter Zusammenhang mit dem Konflikt in Nahost nach den pogromartigen Anschlägen der Hamas auf Israel ergab, sind die Sicherheitsbehörden alarmiert.

Präventive Maßnahmen gegen radikale Gruppen sollen helfen. Darüber sind sich Polizeiapparate einig, über Grenzen hinweg.

Nervös und uneinig

Ziemlich nervös, total uneinig bis tief zerstritten in der Frage, wie sich die EU als Ganzes zum militärischen Vorgehen Israels gegen die Terrororganisation Hamas verhalten solle, zeigen sich hingegen die Regierungen der Mitgliedsstaaten. Die beiden EU-Spitzen Charles Michel und Ursula von der Leyen, Ständiger Ratspräsident der eine, Chefin der EU-Kommission die andere, trugen mit widersprüchlichen Positionen und Aussagen dazu bei.

Der jüngste Gipfel sollte nun dazu dienen, eine "gemeinsame und kohärente Position" zu erarbeiten, wie Michel in seinem Einladungsschreiben fast beschwörend schrieb. Dass dies noch immer nicht gelungen ist, mag auf den ersten Blick erstaunen.

Der Überfall der Hamas auf Israel liegt inzwischen fast drei Wochen zurück. Die 27 Staats- und Regierungschefs haben dazu bisher erst einmal per Videokonferenz beraten. Eine erste Erklärung enthielt zwar eine scharfe Verurteilung der "brutalen terroristischen Attacke". Aber welche Rolle die EU-Länder nun konkret spielen wollen, welche Strategie sie verfolgen, das ist bisher unterblieben.

Die schwierige Aufgabe: Man würde es gerne beiden Seiten recht machen: Israel, das von Islamisten und Terrororganisationen in seiner Existenz bedroht wird, wollen die Europäer ihre volle Unterstützung zusichern. Zumindest im Prinzip.

Und die Palästinenser, zu denen viele Staaten langjährige Beziehungen haben? Dieser Support für Israel endet für eine große Zahl an EU-Staaten an dem Punkt, wenn die palästinensische Zivilbevölkerung durch Angriffe der israelischen Armee gegen die Hamas im Gaza zu Schaden kommt. Das ist nach der Abriegelung von Gaza und der schleppend angelaufenen humanitären Hilfe der Fall.

Beim ersten regulären EU-Gipfel seit dem Anschlag prallten die Gegensätze nun voll aufeinander. Eine Gruppe von Staaten rund um Spanien, Belgien, Irland und auch Frankreich – die sich um ihre Beziehungen zu den Palästinensern sorgen und Gesprächskanäle jedenfalls offen halten wollen, auch zur Hamas – setzte sich dafür ein, dass Israel eine Kampfpause einlegen solle, um Raum für humanitäre Hilfen an die zwei Millionen Palästinenser in Gaza zu erleichtern. Und um die mehr als 200 Geiseln zu befreien, die die Hamas gefangen hält.

Geiselfreilassung gefordert

Am späten Donnerstagabend einigen sich die EU-Staats- und Regierungschef dann darauf, zu einem "raschen, sicheren und ungehinderten humanitären Zugang" in Gaza aufzurufen. In einer Erklärung fordern sie unter anderem "humanitäre Korridore und Pausen" die aber ausschließlich "für humanitäre Bedürfnisse" genutzt werden sollen, teile eine Sprecherin der EU-Ratspräsidenten Charles Michel auf X (ehemals Twitter) mit.

In der Gipfelerklärung betonen sie Israels Recht, sich zu verteidigen in Einklang mit dem Völkerrecht und internationalem humanitären Recht. Die Hamas wird aufgerufen, unverzüglich alle Geiseln ohne Vorbedingungen freizulassen. Man sei bereit, zu, politischen Prozess auf Basis einer Zwei-Staaten-Lösung beizutragen. Auf Initiative Spaniens wurde die Forderung nach einer baldigen Friedenskonferenz hinzugefügt.

"Fürsprecher" Israels

Den in der UN-Charta garantierten Grundsatz, dass die Israelis jedes Recht haben, sich gegen die Hamas zu verteidigen, wird offen von niemandem bestritten. Die "brutale terroristische Attacke" der Hamas wird aufs Schärfste verurteilt.Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) forderte ein "entschlossenes Vorgehen" gegen die Hamas und sprach sich klar gegen einen Waffenstillstand aus. Beim Kampf gegen die Hamas dürfe es "keine Kompromisse" geben, sagte er Donnerstagabend in Brüssel.

Österreich verstehe sich wegen seiner historischen Verantwortung als "Fürsprecher" Israels. Nehammer ist aber dafür, dass in kurzen Zeitfenstern humanitäre Korridore geöffnet werden, um Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. An die Palästinenser in dem Gebiet richtete der Kanzler den Appell, sich nicht von der Hamas "instrumentalisieren" zu lassen.

Was in allen EU-Papieren auffällt, ist, dass es keine direkte Verurteilung der Hamas gibt, keine Erklärung, dass diese mit ihrem Vorgehen nicht legitime Vertreterin der Palästinenser sein könne. Dies wäre umso mehr zu erwarten, als die EU selbst die Hamas schon von fünfzehn Jahren als Terrororganisation definiert hat. (Thomas Mayer aus Brüssel, 26.10.2023)