Cezanne Bild
Sollten die anderen beiden Cezanne-Bilder ausreichend Geld bringen, dann kehrt "La mer à la Estaque" (1878/79) zurück in den Bestand des Langmatt Museums
Christie's

Angesichts übervoller Depots mit Kunstwerken, die ohnedies nie oder nur sporadisch öffentlich gezeigt werden, mögen Direktorinnen und Direktoren heimischer Bundesmuseen bisweilen neidvoll auf die Kollegenschaft in den USA schielen: Dort hat der Verkauf von Kunstwerken aus den Beständen zur Aufbesserung des Budgets eine gewisse Tradition. Wenigstens zwölf oder auch 18 Millionen Dollar erhofft sich aktuell etwa das Art Institute of Chicago, in dessen Auftrag Sotheby’s demnächst (13. 11.) Balthus’ La Patience (1948) versteigern wird.

Das Gemälde kam 1964 über einen Ankauf des Händlers des Künstlers, Pierre Matisse, Sohn von Henri Matisse, in den Bestand. Allerdings war es seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr in Chicago zu sehen, sondern war nur im Leihverkehr für Ausstellungen anderer Institutionen im Einsatz. Der Entscheidung für die Versteigerung war die Auswahl der Kuratoren der Abteilungen Moderne und Zeitgenössische Kunst sowie Europäische Malerei vorausgegangen. Neben zehn Zeichnungen des Künstlers nennt das Museum noch ein anderes Gemälde sein Eigen – Girl with Cat (1937), das in der Permanentschau zu sehen ist.

Lockerung der Regeln

Unumstritten ist diese Verkaufspraxis jedoch auch in den USA nicht. Im ersten Jahr der Pandemie hatte die amerikanische Association of Art Museum Directors (AAMD) jedoch ihre spezifischen Bestimmungen gelockert, da das bisherige Finanzierungsmodell völlig ins Wanken geraten war.

Durch die monatelange Schließung der Museen fehlen Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Shopverkäufen und Raumvermietungen. Verschärfend kamen Turbulenzen auf den Finanzmärkten hinzu, die für herbe Rückschläge sorgen: Dort, wo das von einstigen Donatoren zweckgewidmete und von den Museen veranlagte Stiftungsvermögen sonst Mittel für den laufenden Betrieb abwirft, verzeichnet man Einbußen oder überhaupt Ebbe.

Bild Balthus
Mit dem Verkauf von Balthus "La Patience" (1948) will das Art Insitute of Chicago sein Ankaufsbudget aufstocken. Sotheby’s stellt 12 bis 18 Millionen Dollar in Aussicht.
Christie’s

Budget für Neuankäufe

Und anders als in Europa werden US-amerikanische Museen nur geringfügig öffentlich subventioniert, in einer Größenordnung von etwa fünf Prozent des jährlichen Budgets, der Rest muss anderweitig finanziert werden.

Bis April 2022 durften deshalb Erlöse aus Verkäufen von Kunstwerken – die zuvor in Neuankäufe reinvestiert werden mussten – auch für die Erhaltung des Bestands im weiteren Sinne genutzt werden. Dazu gehören Kosten für Forschung, Restaurierung, Ausstellungen oder auch Gehälter. Davon machten einige Museen auch Gebrauch.

Der Erlös aus der Versteigerung des Balthus-Gemäldes soll, einem Bericht von The Art Newspaper zufolge, für zukünftige Ankäufe des Art Institute bestimmt sein. Obwohl Deaccessioning – so der international gebräuchliche Terminus – hierzulande eher tabuisiert wird, wäre es, anders als vielfach angenommen, sehr wohl zulässig.

ICOM-Leitfaden

Da für österreichische Museen lange klare Richtlinien zum "Entsammeln" von Objekten fehlten, beauftragte das Bundeskanzleramt vor einigen Jahren Icom (International Council of Museums) Österreich mit der Entwicklung von Richtlinien in Kooperation mit dem Museumsbund Österreich. Seit 2016 liegt ein entsprechender Leitfaden vor.

Geht es um Verkäufe aus Sammlungsbeständen, dann gilt es allerdings neben den rechtlichen Grundlagen, also Bundes- und landesgesetzliche Bestimmungen sowie einschlägige Verordnungen, Icom zufolge auch "ethische Richtlinien" zu berücksichtigen: Demnach sind Veräußerungen nur dann zulässig, wenn der Erlös wieder direkt der eigenen Sammlung zugutekommt, also für den Ankauf von Kunstwerken oder für konservatorische Maßnahmen genutzt wird. "Ein Verkauf, dessen Erlös in das allgemeine Budget des Museums oder der Trägerschaft verbucht wird", ist dagegen auszuschließen.

Exakt an letzterem Punkt entzündete sich in zuletzt eine Debatte rund um den Verkauf dreier Gemälde von Paul Cézanne aus der Sammlung des Schweizer Museums Langmatt, die Christie’s im November (9. 11.) in New York versteigern wird. Das (bis 1987 als privates Wohnhaus einer Sammlerfamilie fungiert habende) Museum wurde 1990 öffentlich zugänglich und kämpft Berichten des SRF zufolge schon lange mit finanzieller Schieflage. Das ursprüngliche Stiftungsvermögen von 12,6 Millionen Franken sei weitgehend aufgebraucht. Zur Sicherung des künftigen Museumsbetriebs benötige es laut Kalkulationen von Finanzexperten und der Museumsleitung deshalb 40 Millionen Franken – oder 45 Millionen Dollar – für den Stiftungsfonds.

Bild Cezanne
Das wertvollste Bild aus dem Cezanne-Trio: "Fruits et pot de gingembre", für das Christie’s die Erwartungen mit 35 bis 55 Millionen Dollar beziffert. Unerwartet kam es hier Mitte Oktober noch zu einem Restitutionsvergleich, über den Erben eines jüdischen Kunsthändlers vermutlich am Verkaufserlös beteiligt sein dürften.
Christie’s

Missachtung von ICOM-Richtlinien

Icom Schweiz zeigte sich darob empört, denn "der potenzielle Geldwert eines Objekts" solle keinesfalls einer Deakzession zugrunde gelegt werden, das käme einer "eklatanten Missachtung" der Icom-Richtlinien gleich, zitiert Artnews den Schweizer Icom-Präsidenten Tobia Bezzola. Nach Angaben von Christie’s würden die Werke deshalb in einer bestimmten Reihenfolge versteigert werden. Sofern die Gebote den Wunschbetrag von 45 Millionen Dollar erreichen (oder übersteigen), würden die verbleibenden Werke zurückgezogen und an das Museum retourniert.

Der Auftakt ist deshalb dem Star des Trios vorbehalten, das von Christie’s auf 35 bis 55 Millionen Dollar taxierte und zwischen 1890 und 1893 entstandene Stillleben Fruits et pot de gingembre. Allerdings kam es hier Mitte Oktober kurzfristig zu einem ursprünglich nicht eingeplanten Restitutionsvergleich mit den Erben eines jüdischen Kunsthändlers, an die wohl ein in der Höhe unbekannter Anteil des Erlöses abgetreten wird. Als zweites Gemälde kommt ein weiteres Stillleben zum Aufruf, Quatre pommes et un couteau aus dem Jahr 1885 (sieben bis zehn Millionen Dollar), gefolgt von La mer à l’Estaque (1878/79, drei bis fünf Millionen Dollar). (Olga Kronsteiner, 29.10.2023)