Der Krieg zwischen den sudanesischen Streitkräften und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) hat eine möglicherweise entscheidende Wendung genommen, nachdem RSF-Milizionäre Nyala, die Hauptstadt der Provinz Süd-Darfur und zweitgrößte Stadt des Landes, eingenommen haben. Einer Mitteilung der RSF-Führung zufolge überrannte die Miliz das Hauptquartier der Streitkräfte in der über eine Million Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Provinzhauptstadt eroberte das gesamte dort stationierte militärische Gerät. Die Miliz verbreitete ein Video, auf dem jubelnde und in die Luft schießende Kämpfer zu sehen sind. Die BBC zitiert außerdem Augenzeugen, die von weitreichenden Plünderungen der RSF-Milizionäre in Nyala berichten. Die Straßen der Stadt sollen von Leichen gesäumt sein, heißt es weiter: Hochrangige Offiziere der Streitkräfte, bis hin zu Generälen, seien in den vergangenen Tagen getötet worden.

Von der Führung der Streitkräfte wurde Nyalas Fall bisher nicht bestätigt. Allerdings weisen auch andere Entwicklungen daraufhin, dass Sudans Militärs unter erheblichen Druck geraten sind. So kontrolliert die RSF-Miliz inzwischen auch weite Teile der Hauptstadt Khartum und rückt derzeit nach Süden in die Kornkammer des Landes vor. Die Armee hält lediglich noch einzelne Stützpunkte in Khartum wie das Hauptquartier der Streitkräfte sowie den am Rand der Stadt gelegenen Militärflugplatz Wadi Sayidna, von dem die Luftwaffe ihre Angriffe auf RSF-Stellungen fliegt.

Treffen von Unterhändlern

Auch die Tatsache, dass sich die Militärführung inzwischen wieder zu Gesprächen über einen Waffenstillstand bereiterklärte, weist auf eine Schwächung ihrer Truppen hin. Erstmals seit fünf Monaten haben sich am Donnerstag wieder Unterhändler beider Seiten in der saudi-arabischen Küstenstadt Jeddah getroffen. Die von der US- und saudi-arabischen Regierung lancierten Verhandlungen werden auch von Vertretern der Afrikanischen Union (AU) und dem ostafrikanischen Staatenbund Intergovernmental Authority on Development (Igad) begleitet. Einzelheiten über den Verlauf der Gespräche wurden bisher nicht bekannt. Die im Mai in diesem Rahmen getroffenen Waffenstillstandsvereinbarungen hatten jeweils nur wenige Tage Bestand.

Kriegsschäden in der zweitgrößten Stadt des Sudan, Nyala. Milizionäre sollen bei der Einnahme der Stadt zahlreiche Menschen ermordet haben.
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Die RSF-Miliz, die ihren Ursprung im Darfur hat und im dortigen Bürgerkrieg mit Genozid in Verbindung gebracht wurde, beherrscht inzwischen die Hauptstädte von drei der fünf Darfur-Provinzen und fast das gesamte Hinterland der Region. Die arabischstämmigen Milizionäre sollen dort mit äußerster Brutalität gegen afrikanische Volksgruppen vorgehen: Beobachterinnen und Beobachter sprechen von "ethnischen Säuberungen" und einer Neuauflage des im Jahr 2003 begonnenen Völkermords. Insgesamt kamen in dem seit einem halben Jahr dauernden Waffengang zwischen den von General Abdelfattah al-Burhan angeführten Streitkräften und den von seinem einstigen Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) kommandierten RSF-Milizionären bereits weit mehr als 9.000 Menschen ums Leben, über 5,6 Millionen wurden aus ihrer Heimat vertrieben.

Zivilgesellschaft schreitet ein

Für Nervosität sorgten unterdessen Berichte, wonach die Regierung des Iran ihre Verbindung zu Sudans Streitkräften wieder stärken will. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Gaza-Kriegs suche Teheran an seinen unter Militärdiktator Omar al-Baschir ausgeübten Einfluss im Sudan anzuknüpfen, meldet der Nachrichtendienst Bloomberg. Das solle mit Waffenlieferungen, vor allem Drohnen, geschehen. Iran unterstützt außer den Houthi-Rebellen im Jemen sowie der Hisbollah im Libanon und Syrien auch die Hamas im Gazastreifen und kündigte bereits an, einer "weiteren Eskalation" in Palästina "nicht tatenlos zuzusehen".

Eine erfreulichere Entwicklung bahnte sich unterdessen in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba an. Dort trafen sich in den vergangenen Tagen zahlreiche Gruppen der Zivilgesellschaft sowie Parteien aus dem Sudan, um sich auf ein gemeinsames Konzept zum Wiederaufbau und der Reform des Landes nach dem Krieg zu verständigen. Die Organisationen bestimmten den ehemaligen Premierminister Abdalla Hamdok zum Chef eines Komitees, das eine Plattform zur "Koordination ziviler demokratischer Kräfte" vorbereiten soll. Vertreter der in einer Troika zusammengeschlossenen Regierungen der USA, Großbritanniens und Norwegens begrüßten die Einigung in Addis Abeba als "wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer zivilen und demokratischen Front im Sudan". (Johannes Dieterich, 27.10.2023)