Rund um das Thema öffentliche Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten, BIPoCs (Black, Indigenous and People of Color) und Migrant:innen dreht sich die Ausstellung "Close[t] Demonstrations", die von 3. bis 24. November in der Semmelweisklinik stattfindet. Schon der Titel des Projektes "Close[t] Demonstrations" spielt mit dem Fluss zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, den LGBTIQ-Minderheiten (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-, Intersex- sowie queere Menschen) nur zu gut kennen: Das "Coming out of the Closet" – das Bekenntnis zur eigenen Homo-, Bisexualität oder Transgenderidentität – ist kein einmaliger Akt, sondern muss immer wieder "demonstriert" werden, für jede neue Bekanntschaft, jeden neuen Arbeitszusammenhang etc.

Sichtbarkeit ist also kein permanenter Zustand, sondern für Viele eine fortwährende Anstrengung. Für Andere, insbesondere rassifizierte LGBTIQ-Personen, ist Sichtbarkeit keine Wahl. Sie stechen immer aus der Normgesellschaft heraus und müssen mit dieser "Hypersichtbarkeit" durch den Alltag navigieren. Das Wort "Demonstrations" im Ausstellungstitel markiert einerseits die Aspekte der freiwilligen und unfreiwilligen Zurschaustellung und spielt andererseits auf politische Proteste an. Darüber hinaus beinhaltet es auch "Monstrosität", die oft mit Andersartigkeit verbunden wird.

Das internationale Team rund um Projektleiterin Katharina Wiedlack und Kuratorin Anna T. hat selbst unterschiedliche Erfahrungen mit den "Ambivalenzen der Sichtbarkeit". Aufgrund ihrer Erfahrungen wissen sie aus erster Hand, dass im Zusammenhang mit autoritären und rechts ausgerichteten Regimen LGBTIQ-Sichtbarkeit oftmals kein Bedürfnis, sondern eine Gefahr sein kann. Doch auch in sogenannten liberalen westlichen Kontexten ist die Sichtbarkeit dieser Gruppen umkämpft. Rechte mobilisieren auch hierzulande gerne gegen queere öffentliche Erscheinungsformen, im Frühling dieses Jahres beispielsweise gegen eine Kinderbuchlesung durch eine Dragqueen, der STANDARD hat berichtet.

Fragen der Repräsentation

LGBTIQ-Sichtbarkeit ist in vielen Zusammenhängen wichtig, um soziale Kontakte zu knüpfen, Beziehungen und eine Gemeinschaft zu finden. Im öffentlichen Leben ist positive Repräsentation unersetzlich, um jüngeren Generationen Anerkennung und Bestätigung ihrer Begehren und Lebensweisen zu signalisieren. Welchen Grad und welche Erscheinungsform diese Sichtbarkeit aber haben soll und wie diese von Kunst sichtbar gemacht werden kann, ist keine leicht zu beantwortende Frage. "Close[t] Demonstrations" gibt zahlreiche unterschiedliche Antworten und präsentiert eine Vielfalt queerer Un-Sichtbarkeiten.

Die Internationalität und Mehrsprachigkeit der Ausstellung zeigen sich schon allein anhand folgender Aufzählung: 18 Kunstwerke von Kunstschaffenden aus Almaty, Athen, Berlin, Dhaka, Dnipro, Erzurum, Hamburg, Helsinki, Johannesburg, Kiew, London, Mexiko-Stadt, Oaxaca und Wien erkunden Un-Sichtbarkeit von LGBTIQ-Körpern, -Identitäten und sexuellen Begehren in Form von Zeichnungen, Comics, Installationen, Videos, Stickereien und Zines. Sie werden in den Erstsprachen der Kunstschaffenden in Arabisch, Baschkirisch, Belarussisch, Bengalisch, Bosnisch-Kroatisch-Montenegrinisch-Serbisch, Brasilianisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Fante, Französisch, Georgisch, Griechisch, Italienisch, IsiXhosa, Kurdisch, Nahuatl, Ostfriesisch, Österreichischer Gebärdensprache, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Tatarisch, Türkisch, Ukrainisch, Ungarisch und Zyperntürkisch im Ausstellungskatalog und im Ausstellungsraum präsentiert.

Darüber hinaus gibt es begleitete Ausstellungstouren in allen gängigen Wiener Sprachen, beispielsweise in Österreichischer Gebärdensprache, Deutsch, Englisch, Türkisch, Ukrainisch und Bosnisch-Kroatisch-Montenegrinisch-Serbisch.

Übersetzung und Übertragung in Kunstwerke

Neben den international renommierten Multimedia-Künstler:innen und Performer:innen Naomi Rincón Gallardo und Pêdra Costa stellt "Close[t] Demonstrations" auch in Österreich noch wenig repräsentierte Kunstschaffende vor und bildet so einen Querschnitt durch die materielle und gestalterische Vielfalt sowie den Ideenreichtum, den queere Un-Sichtbarkeit provoziert. Die ukrainische Gruppe ReSews reflektiert in ihrem "Textile book of stories about clothes 2" kollektive Kreativität und die gemeinsame Nutzung von Ressourcen in Zeiten des russischen Angriffskrieges.

Das Kunstobjekt, eine Art Bilderbuch, ist aus zahlreichen unterschiedlichen Textilien zusammengesetzt und lässt sich haptisch und visuell erfahren. Dadurch erlaubt es einerseits eine sensorische Verbindung zu der Gruppe ReSew, die nicht auf Sprache angewiesen ist. Andererseits thematisiert es die Ausbeutung von ukrainischen Textilarbeiter:innen durch westliche Firmen, deren ohnehin prekäre Verhältnisse durch den Krieg weiter zugespitzt wurden. Das Werk erzielt Sichtbarkeit für die Schnittstelle zwischen globaler ökonomischer Ungleichheit, LGBTIQ-Überleben und Widerstand gegen Kriegstreiben sowie Homo- und Transphobie.

Das Nähkollektiv (Kiew, seit 2016 aktiv) fokussiert seine Arbeit auf intersektionale queer-feministische Gesellschaftskritik, Umweltaktivismus und ökonomische Gerechtigkeit.
ReSew
ReSew

Die Installation der Londonerin Sophia Yuet Sees "Iteration of 'coming full circle only to loop back over'" erforscht nichtlineare Erzählungen von Rückkehr, Erholung und Erinnerung. Sie regt an, sich mit dem auseinanderzusetzen, was infolge von Ausgrenzung und Trauma verlorenging oder auch entstanden ist; wie sich Wissen im Körper situiert und wie durch Sichtbarkeit Verletzlichkeit geschaffen wird.

Sophia Yuet Sees (London, 1998) Arbeiten beschäftigen sich mit Begehren und Abwesenheit, Marginalisierung und Trauma.
Sophia Yuet See
Sophia Yuet See

Der experimentelle Kurzfilm von Clémentine Roy und Marta Orlando "The Pathway to the Goats" macht lesbisches Cruising in der freien Natur hör- und sichtbar. Der experimentelle Film zeigt Szenen, in denen weibliche Körper in einer italienischen Seenlandschaft durch Pfeifen ihre sexuellen Begehren und die Sexpartnerinnensuche kommunizieren. Die Kommunikation durch Pfeifen ist dabei von Ziegenhirten entlehnt, weshalb der Film auch den ironischen Titel "Weg zu den Ziegen" trägt.

Marta Orlando und Clémentine Roy erkunden neue Kommunikationsformen und Formen des politischen Widerstands innerhalb der queeren Communitys.
Clémentine Roy und Marta Orlando, Filmstill aus ihrem Film "The Pathway to the Goats".
Clémentine Roy und Marta Orlando; Filmstill aus "The Pathway to the Goats".

"Close[t] Demonstrations" ist eine vielschichtige, multidimensionale Präsentation queeren und dekolonialen Schaffens, Denkens und Miteinander-Seins, erlaubt Unterschiede zwischen rassifizierten, be/hinderten und mehrfachdiskriminierten queeren Leben und Identitäten wahrzunehmen und sich in aller Unterschiedlichkeit miteinander auszutauschen und zu verbinden. (Katharina Wiedlack, 8.11.2023)