Gianni Infantino sitzt neben dem WM-Pokal und einem Fußball.
Der Ball rollt, der Riyal rollt.
/Handout via REUTERS/FIFA

Sind irgendwann die letzten Tropfen Geld und Macht aus dem Fußball gequetscht, könnte Gianni Infantino ja zum Schachsport wechseln. Dass der Präsident des Fußballweltverbands Fifa und seine Vertrauten das Taktieren beherrschen, haben sie bewiesen. Saudi-Arabien pumpt derzeit Unsummen in den Weltfußball, der bevorstehende Zuschlag für die WM 2034 wird zusätzliche Schleusen öffnen. Um diesen Zuschlag sicherzustellen, haben die Saudis, Infantino und ihre gemeinsamen Verbündeten gleich dafür gesorgt, dass es gar keinen zweiten Bewerber für die finale Abstimmung gibt.

Eine Wahl zwischen mehreren Ausrichterkandidaten, dieses unselige demokratische Instrument, könnte ja unangenehme Folgen haben. Etwaige zwielichtige Machenschaften könnten auffliegen und Konsequenzen zeitigen, wie bei der Vergabe an Katar könnte die Staatsanwaltschaft des unterlegenen Konkurrenten ermitteln, oder noch schlimmer: Die Mehrheit der Stimmberechtigten könnte die unerwünschte Konkurrenz bevorzugen.

Die Vergabe 2030 stellte die Weichen

Aber Infantino kennt die Regeln. Richtet ein Kontinent eine WM aus, hat er acht Jahre lang Pause. Ob der Fifa-Boss selbst oder Unterhändler das Monsterkonstrukt WM 2030 eingefädelt haben, weiß DER STANDARD nicht. Dass Südamerika als Bauernopfer diente, ist dagegen offensichtlich. Argentinien, Uruguay und Paraguay wollten hundert Jahre nach der ersten, in Montevideo ausgetragenen WM das Jubiläumsturnier ausrichten. Abgespeist wurden sie mit je einer Partie 2030 – genug, um Südamerika für das folgende Turnier aus dem Rennen zu nehmen. Europa und Afrika wurden mit dem in Spanien, Portugal und Marokko stattfindenden Rest der WM erledigt. Nord- und Mittelamerika ist wegen 2026 raus, blieben für 2034 Asien und Ozeanien.

Dass sich Australien eine lange angedachte Bewerbung in den vergangenen Wochen abschminkte, kann man den Socceroos nicht übelnehmen. Im Fußball gehört Australien dem asiatischen Kontinentalverband an. Der wird von den Golfstaaten kontrolliert und hatte sich längst hinter Saudi-Arabien gestellt – wohl auch deshalb sprang Australiens anvisierter Partner Indonesien ab. Und, noch viel wichtiger: Auch in Down Under weiß man, wie der Hase läuft. Menschenrechte hin, Menschenrechte her: Ein Duell mit einem so finanzstarken Konkurrenten hätte kaum Erfolg versprochen.

Der Fußball ist keine Ausnahme

Zwischen den letzten Resten der Volkssportmaske zeigt der Spitzenfußball längst sein wahres Gesicht: Er funktioniert genauso wie alles andere im Jahr 2023. Der Fußball ist keine Insel der Moral in einer durch und durch ressourcengetriebenen Welt. Geld kauft Zuneigung, Macht erzwingt Loyalität. Saudi-Arabien liefert selbst anschauliche Beispiele: 2018 machten die USA den saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman für die Ermordung des Dissidenten Jamal Khashoggi verantwortlich, fünf Jahre später ist die Eiszeit längst vorbei. Zu wichtig ist das saudische Öl in Zeiten des Ukrainekriegs. Und als sich die Premier League 2020 gegen die Übernahme des Traditionsklubs Newcastle United durch den saudischen Staatsfonds wehrte, intervenierte laut mehreren Berichten die britische Regierung des damaligen Premiers Boris Johnson. Nun kicken die "Magpies" zur großen Freude ihrer sportswashenden Besitzer in der Champions League.

Analog zur Politik läuft es im Weltfußball. Wer selbst nicht genug Ressourcen hat, um "partnerschaftlichen" Avancen der Bessersituierten zu widerstehen, muss sich auf sie einlassen. Katar hat das längst durchgespielt: Gratis-Trainingslager, Entwicklungskooperationen, Trainerausbildung für ärmere Verbände. So macht man sich Freunde. Bei einer Kampfabstimmung zwischen Saudi-Arabien und Australien hätte jeder Fifa-Mitgliedsverband eine Stimme gehabt; das Wüstenkönigreich hätte nur das katarische Playbook nachspielen müssen. Es hätten sich wohl genug Dankbare für eine Mehrheit gefunden. Dass die Menschenrechtsfrage nur für die allerwenigsten Länder außerhalb Europas ein Thema ist, hat die vergangene WM schon zur Genüge demonstriert. So gesehen ist es für das Ansehen des Fußballs vielleicht gut, dass Infantino ihm mit der einen Scharade die andere Scharade erspart hat. (Martin Schauhuber, 31.10.2023)