Alexander Schallenberg und Jan Lipavský auf einer Restaurantterrasse in Wien, im Hintergrund der Stephansdom.
Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (links) empfing seinen tschechischen Amtskollegen Jan Lipavský. Beide Länder haben ähnliche Sorgen.
APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Volles Programm in Wien: Bevor der tschechische Außenminister Jan Lipavský am Dienstag Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg traf und den Diplomaten Martin Eichtinger für seine Verdienste um die bilateralen Beziehungen auszeichnete, stellte er in der Diplomatischen Akademie die Sicherheitsstrategie seines Landes vor.

STANDARD: Die neue tschechische Sicherheitsstrategie beginnt mit dem Satz "Tschechien ist nicht sicher". Ist das nicht ein Befund, der für alle mitteleuropäischen Länder gilt, also auch für Österreich?

Lipavský: Jedes Land muss über seine Sicherheitsstrategie selbst entscheiden. Es ist nicht meine Rolle, mich an der Debatte in Österreich zu beteiligen. Tschechiens Sicherheitsstrategie aber beginnt mit dieser klaren Feststellung, weil wir in einer Zeit der globalen Konfrontation leben: Einige Akteure wollen die regelbasierte internationale Ordnung, die auf der Charta der Vereinten Nationen beruht, verletzen. Und das schafft konkrete Bedrohungen.

STANDARD: Welche vor allem?

Lipavský: Die russische Aggression gegen die Ukraine gehört dazu, der Einfluss des Iran im Nahen Osten oder Terrorgruppen, die Kriege entfesseln. Wir sind mit den Folgen konfrontiert – darunter Migrationswellen, hohe Energiepreise oder unterbrochene Lieferketten. Eine militärische Konfrontation in der Taiwanstraße etwa würde eine Region betreffen, durch die die Hälfte der Handelsschifffahrt führt und in der 70 Prozent aller Mikrochips hergestellt werden. Auch Cyberangriffe sind eine Bedrohung. Es ist wichtig, die Gefahren zu benennen, um Maßnahmen zum Erhalt von Sicherheit und Wohlstand zu definieren.

STANDARD: Bei der Entscheidung in der UN-Generalversammlung über eine Resolution nach dem Angriff der Hamas auf Israel gab es 14 Gegenstimmen, darunter aus Tschechien und Österreich. Stimmt man sich da untereinander eigentlich ab?

Lipavský: Natürlich gibt es Konsultationen, etwa zwischen den Botschaften bei der Uno oder auf EU-Ebene. Minister telefonieren und schreiben sich Textnachrichten. Über Details möchte ich nicht reden, die sind nicht wichtig. Wichtig ist: Als im konkreten Fall zuvor ein kanadischer Entwurf, der den Terrorangriff der Hamas klar verurteilte, nicht angenommen wurde, verlor die Resolution für uns ihren Sinn.

STANDARD: Prag und Wien haben auch zum Krieg in der Ukraine ähnliche Positionen – vor allem wenn es darum geht, Kiew nicht in einen Diktatfrieden zu drängen. Prag verweist da gerne auf das Münchner Abkommen zwischen Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien im Jahr 1938. Wo sehen Sie die Parallelen?

Lipavský: Der Krieg wurde damals nicht verhindert. Im Gegenteil: Hitlers Appetit, seine Expansion fortzusetzen, wurde noch größer. Eine Folge des Münchner Abkommens war zudem, dass sich die tschechoslowakische Bevölkerung vom Westen verraten fühlte. Heute ist das Vergangenheit, wir sind stolzes Mitglied von EU und Nato. Aber man sollte nun nicht denselben Fehler machen und die Ukraine in eine Friedensregelung drängen, durch die sie gegen ihren Willen einen Teil ihres Gebiets abtreten müsste. Die Ukraine wäre eine verratene Nation. Ein Teil der Bevölkerung würde sich mit einem Diktatfrieden nie abfinden, innere Widersprüche würden das Land ins Wanken bringen. Das wäre eine Quelle der Instabilität und eine Bedrohung für Jahrzehnte. Daher müssen wir eine Lösung suchen, die für die Ukraine akzeptabel ist, und diese in ihrem Kampf gegen die russische Aggression unterstützen.

STANDARD: In der Visegrád-Gruppe, bestehend aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen, gibt es viel Bewegung: Der neue slowakische Premier Robert Fico will keine Waffen mehr an die Ukraine liefern. Auch in Polen wurde gewählt, ein Machtwechsel könnte bevorstehen. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit?

Lipavský: Visegrád ist ein nützliches Diskussionsformat, genau wie auch das Slavkov-Format, in dem Tschechen mit der Slowakei und Österreich zusammenarbeitet. In der Region gibt es viele gemeinsame Probleme, über die wir reden müssen. Wir werden immer Nachbarn sein, egal wer gerade regiert. (Gerald Schubert, 9.11.2023)