Wien – Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hält trotz der zunehmenden Drohgebärden der Ärztekammer an seinen Plänen für seine – wie er sie nennt – "größte Strukturreform der vergangenen Jahrzehnte" fest. Er sei optimistisch, dass diese in den nächsten zwei Wochen finalisiert werden könne, betonte der Minister am Freitag in einer Stellungnahme zur APA. "Von den Drohungen lasse ich mich sicher nicht beirren."

Als Gesundheitsminister sehe er sich als Anwalt der Patientinnen und Patienten, und für diese bedeute die Reform hunderte neue Kassenstellen, mehr Primärversorgungszentren und Kassenambulatorien, eine international übliche Diagnosecodierung auch im niedergelassenen Bereich, eine Anbindung der Wahlärzte an die Elektronische Gesundheitsakte (Elga), einen österreichweit einheitlichen Gesamtvertrag und massive Investitionen in Digitalisierung und Vorsorge.

Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch gestikulierend im grünen Anzug
"Es täte auch der Ärztekammer gut, sich nicht nur um ihren Machterhalt zu kümmern", kritisierte Rauch das Vorgehen der Interessenvertretung in einer Stellungnahme.

"Nur informelle Mitsprache der Ärztekammer"

"Es täte auch der Ärztekammer gut, sich nicht nur um ihren Machterhalt zu kümmern, sondern auch das Wohl der Patient:innen und die Zukunft unseres Gesundheitssystems im Auge zu behalten", so Rauch, laut dem auch viele Ärztinnen und Ärzte vom Verhalten der Kammer irritiert sind. Die Gespräche mit den Ländern und der Sozialversicherung, die er in enger Abstimmung mit dem Finanzminister führe, seien jedenfalls "auf einem guten Weg".

Unterstützung bekommt Rauch bei seinem Vorhaben von der Sozialversicherung. Andreas Huss, Obmann der unter anderem für die Verhandlung der Arzthonorare und die Schaffung von Kassenarztstellen zuständigen Gesundheitskasse ÖGK, betonte im Ö1-"Morgenjournal" am Freitag, dass in Zukunft Land und Sozialversicherung einen Regionalstrukturplan beschließen sollen, der Ärztekammer solle nur noch informelle Mitsprache möglich sein. "Die wird natürlich hier miteinbezogen. Aber das, was beschlossen ist, ist dann verpflichtet umzusetzen, und da gibt es dann keine Möglichkeit mehr von irgendwelchen Einsprüchen oder irgendwelchen Möglichkeiten, solche Verfahren dann noch in die Länge zu ziehen." Sei im Strukturplan etwa die Errichtung eines Primärversorgungszentrums oder einer selbstständigen Ambulanz in einer Gemeinde vorgesehen, soll die Ärztekammer das nicht mehr beeinspruchen und verzögern können.

Toth: Ärzte werden zu Bittstellern degradiert

Scharfe Kritik an den Reformplänen übte indes die burgenländische Ärztekammer. Deren Präsident Christian Toth erklärte am Freitag in einer Aussendung: "Aus reinen Machtgedanken wird die solidarische Gesundheitsversorgung zerstört." Er befürchtet eine Aushöhlung oder gar Abschaffung der Sozialpartnerschaft und kündigte an, "nicht tatenlos zusehen, sondern Maßnahmen ergreifen" zu wollen: "Das ist inakzeptabel, ein Schlag gegen ein, wenn auch verbesserungsfähiges, so doch insgesamt bewährtes solidarisches Gesundheitssystem."

Dass die Kassen künftig trotz eines aufrechten Gesamtvertrags mit jedem Vertragsarzt ohne Zustimmung der Ärztekammer vom Gesamtvertrag abweichende Honorare und Leistungen vereinbaren könnten, lehnt Toth ebenfalls ab, denn: "Der einzelne Vertragsarzt muss dann allein mit dem Monopolisten Kasse verhandeln." Ärzte würden zu Bittstellern degradiert, und die Sozialversicherung hätte die Hebel in der Hand, "Verträge nach ihren Wünschen zu erpressen". Die Standesvertreter wollen nun versuchen, das "Schlimmste" noch zu verhindern und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, kündigte Toth an.

Kurienobfrau sieht Gefahr durch Kassenambulatorien

Die Kurienobfrau der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Wiener Kammer, Naghme Kamaleyan-Schmied, hat am Freitag ebenfalls kein gutes Haar an den Plänen gelassen - und im Gespräch mit Journalisten erste Pläne für einen möglichen vertragslosen Zustand erörtert. Zu diesem könne es kommen, wenn die Ärztekammer nicht rasch zu Gesprächen eingeladen werde, hielt sie fest. Eine Kündigung des Vertrages mit den Sozialversicherungen solle dazu dienen, die Politik "aufzuwecken". Man wolle mitreden, da die Reform deutliche Nachteile für Ärzte und Patienten zeitigen würde, wie sie warnte. Derzeit wird laut der Kurienobfrau geprüft, wie rasch eine Vertragskündigung – und damit ein vertragsloser Zustand – möglich ist

Schon jetzt gebe es immer weniger Mediziner, die eine Kassenordination übernehmen wollten. Das liege unter anderem daran, dass das aktuelle, oft starre Honorarsystem dazu zwinge, immer mehr Menschen zu behandeln, beklagte Kamaleyan-Schmied. "Man kann nur aufgrund der hohen Frequenz überleben." Das führe dazu, dass man mehr Personal und Räumlichkeiten benötige. Die Folge der Entwicklung seien oft lange Wartezeiten in den Ordinationen. Die aktuellen Pläne würden hier eine weitere Verschlechterung bedeuten, zeigte sie sich überzeugt.

Vorgesehen ist etwa, dass die Ärztekammer kein Mitspracherecht bei Gesamtvertrag und Stellenplan mehr hat. Auch die Einrichtung von Kassenambulatorien soll ohne sie möglich sein. Kamaleyan-Schmied sieht letztere etwa als Gefahr für Primärversorgungszentren. Sie habe selber vor, ein solches zu gründen. Die dafür nötigen Investitionen seien aber riskant, da man nicht wisse, ob nicht im unmittelbaren Umkreis danach Ambulatorien eröffnen. In diesen werde auch keine persönliche Betreuung möglich sein, zumindest nicht in jenem Ausmaß, in dem es sich die Patienten wünschen, wie die Kurienobfrau befand. (APA, red, 10.11.2023)