Ballettchef Martin Schläpfer und "Drittes Klavierkonzert" von Alfred Schnittke konnten im Haus am Wiener Gürtel begeistern.

Es scheint zwar gerade schwierig, sich auf heitere Kunst einzulassen – aber Gelegenheiten, einmal durchzuatmen, können zur Bewältigung der Gegenwart beitragen. Wie nun in der Wiener Volksoper, die einen neuen, dreiteiligen Ballettabend präsentiert, der ernst beginnt, dann poetisch auflockert und beglückend endet.

Unter dem Titel The Moon Wears a White Shirt werden Arbeiten von Ballettchef Martin Schläpfer, der US-Ex-Punk-Ballerina Karole Armitage und ihrem Landsmann Paul Taylor vorgestellt. Dieser Mix überzeugte das Volksopern-Publikum zum Einstand am Sonntag hörbar.

Passende Bewegungssprache

Großen Applaus holte sich zu Beginn Schläpfer für sein Werk Drittes Klavierkonzert. Gemeint ist hier Alfred Schnittkes Konzert für Klavier und Streichorchester aus dem Jahr 1979, auf das Schläpfer eine fiktive Biografie choreografiert hat.

Die Protagonistin – überzeugend: Mila Schmidt – steht für eine starke Figur, der es nicht gelingt, ihre Qualitäten in persönliches Glück zu übersetzen. Wieder und wieder testet sie sich und jene, die sich ihr nähern, aus – ohne Erfolg. Für dieses Drama findet Schläpfer die passende Bewegungssprache.

Wie von fern flimmern im Hintergrund die Lichter der Großstadt. Ein Detail, das an die urbane Kommerzialisierung der Liebe erinnert: Viele suchen sich ihre Partner wie Waren auf Webseiten aus. Schnittkes Musik liefert die Atmosphäre für diese Verwerfung und Schmidt die Brüche einer Figur mit stolzem Auftritt und zerfasertem Innenleben.

Dada und Glücksmaschine

Bei Lichter der Großstadt muss man sofort an Charlie Chaplins gleichnamigen Film von 1931 denken, in dem ein Tramp um seine Liebe kämpft. Und György Ligetis Klänge für Armitages Stück Ligeti Essays klingeln, scheppern und klopfen nahe an den akustischen Experimenten der Zwischenkriegszeit. In den 1940ern vertonte Ligeti in drei Liederzyklen die an Dada-Lyrik erinnernde Lautpoesie des Ungarn Sándor Weöres. Dazu lässt Armitage die Tänzerinnen und Tänzer neben einem silbrigen Baumgerippe über die Höhenräusche und Schattenspiele des niemals unbeschwerten menschlichen Zusammenseins fantasieren.

Niemals unbeschwert? Einspruch von Paul Taylor in Form von Dandelion Wine zur Musik von Pietro Locatelli! Manche werden bei diesem Titel an Ray Bradburys gleichnamiges Buch – zu Deutsch Löwenzahnwein – denken. Darin wird an einer Glücksmaschine gebaut, und Taylors Stück kommt in seiner luftigen Unbeschwertheit an das Gleichnis für eine solche nahe heran.

Das Tanzensemble bewältigt diesen Abend fabelhaft, und dem Orchester der Volksoper unter Christoph Altstaedt liegt die musikalische Mischung eindeutig. (Helmut Ploebst, 14.11.2023)