Der am Sonntag verstorbene Karel (Karl) Schwarzenberg hat die europäische Geschichte prägen können, weil zwei große Europäer – Bundeskanzler Bruno Kreisky in Wien und der Dichterpräsident Václav Havel in Prag – hinter dem spielerischen Schein des böhmisch-österreichischen Aristokraten früh seine außerordentliche Persönlichkeit erkannt hatten.

Auf Kreiskys Vorschlag wurde er erster Präsident der Helsinki-Föderation für Menschenrechte und damit zwischen 1984–1991 ein internationaler Bahnbrecher für den Weg zur Freiheit in Mittel- und Osteuropa. Dann spielte er eine Schlüsselrolle als engster und selbstloser Mitarbeiter Havels und dann als Außenminister beim Aufbau der Demokratie in der postkommunistischen Tschechoslowakei. Die internationale Anerkennung in den Nachrufen für sein von Hans Rauscher im STANDARD gewürdigtes Lebenswerk spiegelt Schwarzenbergs Bedeutung als Staatsmann.

Karl Schwarzenberg, Paul Lendvai
2022 bei der Verleihung des Concordia-Preises: Karl Schwarzenberg (li.) und Paul Lendvai (re.).
Foto: Robert Newald

Ich hatte ihn als Mensch und im Lauf eines langen Lebens schließlich auch als einen weisen Freund kennengelernt. Von den vielen Gesprächen und Erlebnissen erinnere ich mich gerade angesichts der weltweiten Wellen des Judenhasses und Israelfeindlichkeit an die berührende Feierstunde am 30. März 2015 im Palais Schwarzenberg anlässlich der Verleihung der "Torberg-Medaille" durch die Israelitische Kultusgemeinde und an die Laudatio des israelischen Historikers Shlomo Avineri:

"Sie, Fürst Schwarzenberg, haben als tschechischer Außenminister die liberale und humanistische Tradition des Gründers der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, weitergeführt als Freund des jüdischen Volkes, als Befürworter des Selbstbestimmungsrechts der Juden auf einen souveränen Staat, in dem sie in Frieden, Sicherheit und Würde leben können." Mit Hinweis auf Stefan Zweig fügte er hinzu: "Heute existiert ein Europa der Zukunft, der Freiheit, der Demokratie, der Solidarität. Sie sind die Verkörperung dieser Welt der Zukunft, die das Beste aus ‚der Welt von gestern‘ zu bewahren weiß. Für all dies sind wir alle, Österreicher und Tschechen, Juden und Israelis, Ihnen zutiefst dankbar."

Scharfer Kritiker

Karel Schwarzenberg, der tschechische und schweizerische Staatsbürger, dessen Lebensmittelpunkt ein halbes Jahrhundert Österreich war, hatte hier nie eine politische Funktion gehabt. Er war aber stets ein unbestechlich scharfer Kritiker der politischen Elite der Zweiten Republik, besonders von Sebastian Kurz gewesen: "Ich habe leider Gottes sehr früh den Eindruck gewonnen, dass Kurz ein falscher Fuffziger ist. Er hat (…) eine rücksichtslos egoistische Politik verfolgt, die in den Untergang geführt hat. Diese Zeit war eine Katastrophe für Österreich (…) Ich habe schon damals gesagt: Wenn Sebastian Kurz so endet, wie ich erwarte, kann das auch das Ende der ÖVP sein." (Presse, 17. 12. 2022)

Eine Woche vor seinem Tod klang er geistig wach in unserem letzten Telefonat aus dem Prager Spital. Besorgt über den Antisemitismus, die Lage der Ukraine und voll des Lobes für den tschechischen Präsidenten Petr Pavel und die Prager Regierung. Karel Schwarzenberg hatte nicht zufällig auch die Gefährlichkeit Wladimir Putins und Viktor Orbáns viel früher erkannt als die Staats- und Regierungsspitze Österreichs. (Paul Lendvai, 13.11.2023)