Das Thema Migration löst oft starke Emotionen aus – auch auf dem Balkan. Das ist auch daran zu bemerken, wie in Bosnien und Herzegowina über das kürzlich veröffentlichte Urteil im Fall der Klage des International Centre for Migration Policy (ICMPD) gegen Petar Rosandić von der NGO SOS Balkanroute berichtet wurde. Rosandić betreut sehr engagiert mit seiner NGO seit vielen Jahren Migranten an den Grenzen zur EU und versorgt sie mit Lebensmitteln und Kleidung.

Das umstrittene Migrationszentrum Lipa.
AFP/DAMIR SENCAR

Das ICMPD klagte Rosandić wegen Kreditschädigung, weil dieser über die Hafteinheit in dem Migrationszentrum Lipa in Bosnien und Herzegowina, die vom ICMPD errichtet worden war, getwittert hatte: "Das wird Österreichs Guantanamo." Rosandić brachte mit diesem Tweet also die Hafteinheit in Lipa, die noch gar nicht in Betrieb ist, mit dem berüchtigten Gefangenenlager Guantanamo in Zusammenhang, einem Marinestützpunkt der U.S. Navy in der Guantánamo-Bucht auf Kuba, wo Häftlinge unter anderem gefoltert wurden.

Das Wiener Handelsgericht hat Rosandić bereits im Juli freigesprochen, das Urteil wurde aber erst jetzt veröffentlicht. Die bosnischen Medien, die über das Urteil berichteten, konzentrierten sich vor allem auf Frage der Legalität der Hafteinheit. In der Berichterstattung kam es aber aber auch zu Missverständnissen. So schreibt das Webportal "Klix": "Das Handelsgericht Berlin hat ein Urteil über die errichtete Anlage im Flüchtlingslager Lipa unweit von Bihać gefällt. Dem Urteil zufolge ist die Einrichtung mit dem Beinamen Gefängniseinheit illegal, alles wurde von Österreich finanziert."

Viele Missverständnisse

Tatsächlich war es das Handelsgericht in Wien und nicht in Berlin, das ein Urteil fällte. Die Hafteinheit wurde auch nicht von Österreich finanziert, sondern von der EU. In dem Urteil heißt es zum Thema Hafteinheit: "Über die letztendliche Nutzung des Traktes soll das Sicherheitsministerium entscheiden, eine entsprechende abschließende Planung kann nicht festgestellt werden. Ein rechtlicher Rahmen als Grundlage für entsprechende Anhaltungen und den Betrieb des Hafttraktes ist mit nicht feststellbarem konkretem Inhalt in Planung, besteht aber derzeit nicht. Eine bestehende Baugenehmigung für den Hafttrakt kann nicht festgestellt werden."

Das bosnisch-herzegowinische Fernsehen BHRT berichtete: "Das Handelsgericht in Wien hat ein Urteil über das im Migrantenlager Lipa bei Bihać errichtete Gebäude gefällt. Es stellte sich heraus, dass die Einrichtung, die eine Art Haftanstalt sein sollte und 'Guantanamo' hieß, in Wirklichkeit illegal war und dass hinter allem Österreich steckte, das sie finanzierte." Auch hier wird wieder fälschlicherweise behauptet, dass Österreich die Hafteinheit finanziert habe. Bei der Berichterstattung in Bosnien-Herzegowina fällt auf, dass der Grund des Verfahrens, nämlich die Aussagen von Rosandić, in den Hintergrund rückt.

Der TV-Sender N1 berichtete über das Urteil in Wien unter dem Titel "Österreichisches Guantanamo – wer baut Gefängnisse für Ausländer in Bosnien und Herzegowina?", dass das Gericht in Wien zu dem Schluss gekommen sei, "dass die internationale Organisation ICMPD illegal eine Art Internierungslager innerhalb des Lipa-Lagers in Bihać errichtete".

Viele ähnliche Zentren in Europa

Zitiert wird der bosnische Minister für Menschenrechte, Sevlid Hurtić, mit der Aussage: "Sie nannten es jetzt das österreichische Guantanamo, weil es eine österreichische Organisation ist, die der Altkanzler finanziert hat." Die Hafteinheit in dem Aufnahmezentrum nahe der bosnischen Stadt Bihać hat in Österreich deshalb für Diskussionen gesorgt, weil das ICMPD vom früheren ÖVP-Chef und Vizekanzler Michael Spindelegger geleitet wird. Das IMCPD hat die Hafteinheit im Auftrag der Europäischen Kommission errichtet. Die EU hat dem ICMPD dafür 500.000 Euro bezahlt.

Interessant in dem N1-Bericht ist die Aussage des Direktors der Ausländerbehörde des Sicherheitsministeriums, Žarko Laketa. Er sagt auf die Frage von N1, dass man Migranten vorübergehend bis zu sechs Stunden festhalten könne. Er verweist auch auf das Haftzentrum in Lukavica bei Sarajevo, in dem Migranten, die Straftaten begehen oder die abgeschoben werden sollen, seit Jahren untergebracht werden. Diese Migranten befinden sich oft monatelang in Lukavica. Das Haftzentrum in Lukavica wurde aber in den vergangenen Jahren nicht kritisiert. In praktisch allen europäischen Staaten gibt es solche Haftzentren für Migranten, die straffällig wurden oder auf ihre Abschiebung warten.

Die Hafteinheit im Migrationszentrum in Lipa war als Außenstelle für das Haftzentrum in Lukavica bei Sarajevo gedacht. Denn Migranten, die in dem Kanton Una-Sana an der kroatischen Grenze festgenommen werden, können mitunter nicht gleich nach Lukavica gebracht werden, weil das zu weit entfernt liegt und nicht immer Beamte oder Fahrzeuge bereitstehen. Die Hafteinheit in Lipa sollte also eine Art Kurzzeit-Haftraum sein, in dem Migranten, die strafrechtlich auffällig wurden oder aus anderen Gründen festgehalten werden, bis zu 72 Stunden untergebracht werden könnten.

Laketa meinte nun aber zu N1, dass ein weiteres Haftzentrum neben jenem in Lukavica in Bosnien und Herzegowina nicht gebraucht werde: "Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, wir haben unsere Einrichtung in Ostsarajevo. Wir haben unsere Mitarbeiter dort, es ist eine Anlage, die rund um die Uhr überwacht wird", sagte er zu N1.

Status "wird geklärt"

Der Hintergrund: Die Hafteinheit in Lipa wurde noch unter der alten Regierung in Bosnien-Herzegowina beschlossen. Unter der neuen Regierung, die in diesem Jahr gebildet wurde, hat das Sicherheitsministerium zwar die Schlüssel für die Hafteinheit bekommen, die Ausländerbehörde, die unter dem Sicherheitsministerium agiert, will das Haftzentrum aber nun offensichtlich nicht übernehmen. Das hat ganz offensichtlich auch damit zu tun, dass das Haftzentrum in der Öffentlichkeit so stark kritisiert wurde.

Auf Anfrage des STANDARD schrieb die Ausländerbehörde, dass die Hafteinheit "derzeit nicht der Zuständigkeit des Dienstes für Ausländerangelegenheiten" unterliege. "Der Status wird in nächster Zeit von den Institutionen Bosnien und Herzegowinas geklärt", heißt es. Es bleibt demnach alles in der Schwebe. In der Berichterstattung in den bosnischen Medien wird auch immer erwähnt, dass der Bau der Hafteinheit ohne vorherige Genehmigung der Stadt Bihać erfolgte, was auch in dem Urteil zur Sprache kam.

Edin Moranjkić vom Rathaus in Bihać teilte dem STANDARD mit: "Gemäß der gültigen städtebaulichen Genehmigung ist die Errichtung einer Hafteinheit auf dem Gebiet des gesamten Lagers nicht vorgesehen, an der Stelle, an der diese errichtet wurde, soll eigentlich eine Erholungszone (Sportanlage) errichtet werden." Der Bau der Hafteinheit wurde erst im Jahr 2022 nach dem Bau des Aufnahmezentrums im Jahr 2021 beschlossen. Laut dem entsprechenden EU-Dokument geht es darum, "einen neuen Haftraum zu errichten, in dem in bestimmten Fällen Haftmaßnahmen und Bewegungseinschränkungen im Einklang mit internationalen und EU-Standards umgesetzt werden können, während gleichzeitig Unterkunft und grundlegende Dienstleistungen bereitgestellt werden, bis eine endgültige Entscheidung über Asyl oder Rückkehr getroffen wird".

Das gesamte Migrationszentrum Lipa steht unter der Leitung der Ausländerbehörde des Sicherheitsministeriums von Bosnien-Herzegowina. Die Betreuung wird auch von Leuten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) übernommen. Die IOM war strikt gegen die Errichtung der Hafteinheit und war deshalb auch dagegen, dass das ICMPD diese Hafteinheit errichtete. Dieser Konflikt zwischen IOM und IMCPD spielt in der gesamten Causa eine Rolle, denn die IOM tat sich auch mit lokalen NGOs zusammen, um gegen die Errichtung der Hafteinheit zu protestieren. Eine dieser NGOs war SOS Balkanroute.

Kein "Abschiebezentrum"

Die NGOs und IOM befürchteten, dass in der Hafteinheit ein "Abschiebezentrum" errichtet werden könnte. Allerdings war nur geplant, dass die Migranten höchstens 72 Stunden dort festgehalten werden könnten, bis sie nach Lukavica gebracht werden. Es gibt auch nur äußerst selten Abschiebungen aus Bosnien und Herzegowina, weil es kaum Rückführungsverträge mit den Herkunftsstaaten der Migranten gibt. Doch die Angst vor dem Abschiebezentrum dominierte in der Folge die Berichterstattung.

Die Frage, aus welchen Gründen und unter welchen Umständen Migranten in Bosnien und Herzegowina festgehalten werden können, wird genau im bosnischen Ausländergesetz beantwortet. Die Aussage, dass keine rechtliche Grundlage dafür bestehe, dass Migranten überhaupt in Gewahrsam genommen werden, ist demnach unrichtig. Die Regelungen können hier nachgelesen werden. Sie sind auch die Grundlage dafür, dass Migranten in der Hafteinheit in Lukavica festgehalten werden.

Das ICMPD war nur für den Bau des Haftzentrums in Lipa zuständig, geplant wurde es von der EU gemeinsam mit dem bosnischen Sicherheitsministerium. Das ICMPD ist auch nicht für den Betrieb zuständig. Über die Notwendigkeit einer Baubewilligung gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Grundsätzlich hätte die EU, die das ICMPD beauftragte, für die entsprechende Bewilligung sorgen sollen.

"Keine Genehmigung nötig"

Die EU-Kommission betont aber, dass gar keine neuerliche Baugenehmigung für die Hafteinheit notwendig gewesen wäre, weil das Migrationszentrum Lipa mit Zäunen und Containern ohnehin schon bewilligt gewesen sei. In einer Anfragebeantwortung für den STANDARD schreibt die Kommissionssprecherin Ana Pisonero-Hernandez: "Es war keine zusätzliche Baugenehmigung erforderlich. Sowohl das Aufnahmezentrum als auch die Hafteinrichtung unterliegen der Autorität der Behörden von Bosnien und Herzegowina." Auf mehrmalige Anfrage an die Stadt Bihać, wie diese Einschätzung der EU-Kommission bewertet wird, hat DER STANDARD von der Stadt nie eine Antwort bekommen.

All diese rechtlichen Unklarheiten haben jedoch dazu geführt, dass in Bosnien und Herzegowina die Hafteinheit als "heiße Kartoffel" gilt, die keiner mehr anfassen will. In EU-Kreisen will man gar nicht mehr darüber reden. Manche meinen, dass die Hafteinheit gar nicht gebraucht werde, weil sich gar nicht so viele Migranten in Lipa befänden. Migranten, die festgenommen werden, werden demnach nun weiter – wie vorher – gleich nach Lukavica gebracht und nicht in Lipa für höchstens 72 Stunden festgehalten. Die 500.000 Euro wurden demnach in den Sand gesetzt.

Die negative Berichterstattung hat vor allem dem Ruf des Migrationszentrums Lipa geschadet, obwohl dort Migranten gratis wohnen und essen können und medizinisch versorgt werden. Das Migrationszentrum in Lipa ist sehr gut ausgestattet und professionell geführt. In Lipa wurde bereits tausenden Menschen, die in Not sind, sehr geholfen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass im Migrationszentrum Lipa auch nur im Ansatz Menschenrechte missachtet werden. Im Gegenteil: Viele Migranten nutzen den Ort, um sich von den Strapazen zu erholen. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 17.11.2023)