Hand mit E-Card
Liebgewonnener Service: Wer zum Kassenarzt geht, braucht statt Geld nur die E-Card. Das würde sich schlagartig ändern, wenn die Ärztekammer Ernst macht.
Der Standard/Beigelbeck

Neben den zehn Millionen Euro für eine Kampagne hat die von Machtbeschneidung bedrohte Ärztekammer noch eine Waffe in petto: Sollte die Regierung ihre Gesundheitsreform ohne Zugeständnisse durchziehen, so die Warnung, könnte sie als Reaktion den Gesamtvertrag mit der Gesundheitskasse (ÖGK) aufkündigen.

Dieser Schritt hätte weitreichende Folgen. Der Vertrag zwischen Kammer und Sozialversicherung regelt, unter welchen Bedingungen Ärztinnen und Ärzte arbeiten – beispielsweise, für welche Leistungen sie von der Kasse welches Honorar erhalten. Fällt die Vereinbarung, kann nicht mehr einfach durch Stecken der E-Card ins System elektronisch abgerechnet werden.

Die Patienten müssten ihre mitunter hunderte Euro teuren Behandlungen bei niedergelassenen Ärzten dann erst einmal selbst bezahlen. Nachträglich können sie die Rechnung bei der ÖGK einreichen, diese refundiert aber nur 80 Prozent des bisherigen Vertragstarifs. Per Beschluss des Obmanns oder der Hauptversammlung kann die Kasse die Rate zwar auf 100 Prozent aufstocken. Doch mühsam und ärgerlich wird es für die 7,5 Millionen Versicherten jedenfalls.

Das gilt für die ÖGK genauso. Ihr Apparat ist nicht darauf eingestellt, plötzlich Massen an Honoraren einzeln abzurechnen. Derzeit registriert die Kasse im Schnitt 2,7 Millionen E-Card-Kontakte pro Woche.

Nur leere Worte?

ÖGK-Obmann Andreas Huss gibt sich dennoch gelassen. "Eine leere Drohung" sieht er hinter dem Kündigungsszenario: Eine Interessenvertretung wie die Kammer könne der eigenen Klientel diesen "ultimativen Wahnsinn" nicht antun.

Der vertragslose Zustand wäre schließlich auch für die Ärztinnen und Ärzte eine Zumutung, glaubt Huss: Sie müssten für jede Leistung Honorarnoten an die Patienten ausstellen – und dahinter sein, dass diese auch brav zahlten. Außerdem würden sich viele Menschen angesichts der auszulegenden Kosten Arztbesuche sparen, womit der Branche Einkommenseinbußen drohten. Ob das populär sei?

Bis jetzt sei der Rückhalt der Ärzteschaft für die Proteste groß, erwidert ein Sprecher der Kammer. Dass die Idee einer Kündigung bereits vom Tisch sei, wie das Gesundheitsminister Johannes Rauch am Wochenende verlautbarte, könne er nicht bestätigen. Und so aufwendig, wie da getan werde, sei die Verrechnung für die Mediziner nicht: Wahlärzte kämen ja schon jetzt gut damit zurande.

Allerdings hätten diese, wie Huss vorrechnet, viel geringere Frequenzen als Kassenärzte. Letztere verrechneten im Schnitt 300.000 Euro pro Jahr. Von rund 10.000 Wahlärzten hingegen kämen nur knapp 900 auf mehr als 50.000 Euro.

Von heute auf morgen gehe ohnehin nichts: Wegen diverser Fristen und der Möglichkeit, mit aufschiebender Wirkung die Bundesschiedskommission einzuschalten, würde eine Kündigung des Gesamtvertrags nach ÖGK-Einschätzung frühestens Ende 2024 greifen – ein Jahr nach beschlossener Reform. Denn diese will die Regierung noch diese Woche grundsätzlich vereinbaren, um sie vor Weihnachten unter Dach und Fach bringen zu können. (Gerald John, 21.11.2023)