Leuven ist die wohl entspannteste Stadt in Belgien. Nicht übermäßig groß, leicht zu Fuß zu erkunden und deshalb eine gute Alternative für alle Nachtzugreisenden, denen ein Wochenende in Brüssel zu geschäftig ist. In der kleinen Brauereistadt herrscht eine gelöste, fast schon familiäre Atmosphäre – trotzdem liegen zwischen der Hauptstadt und Leuven bloß 25 Minuten Bahnfahrt.

Das Rathaus von Leuven wurde in der Spätgotik erbaut und sollte jenes in Brüssel an Pomp und Figurenreichtum übertreffen.
Das Rathaus von Leuven wurde in der Spätgotik erbaut und sollte jenes in Brüssel an Pomp und Figurenreichtum übertreffen.
Karl Bruninx

Mittelpunkt und Blickfang ist das gotische Rathaus, das mit seinen verzierten Türmchen einem verwunschenen Märchenschloss ähnelt. Die insgesamt 263 Figuren stellen Leuvener Würdenträger dar. "Eine so reich verzierte Fassade habe ich noch nirgends gesehen", schwärmt Stadtführer Luc Philippe. Er mag es, bei untergehender Sonne dort entlangzuschlendern, dann werfen Scheinwerfer mystische Schatten auf den Prachtbau. Schräg gegenüber thront die Sankt-Peterskirche. Sie erhebt sich mit ihrem Turm in den Himmel, als wolle sie die Wolken berühren. In ihrem Gewölbe befinden sich Meisterwerke wie "Das letzte Abendmahl" von Dieric Bouts in seiner historischen Originalkulisse. Mithilfe einer speziellen Brille lässt sich Stadtgeschichte in einer 3D-Projektion erleben: Plötzlich steht man im Mittelalter und kann sich umsehen und das Treiben beobachten, als wäre man selbst Teil dieser Kulisse.

Lautes Rattern

Einen kleinen Spaziergang weiter säumt das alte Uni-Gebäude mit der Zentralbibliothek den Stadtplatz. Sie wurde 1636 eingeweiht und ist auch für Nichtstudenten zugänglich: ein Lesesaal mit Verzierungen, mehreren Etagen, Regalen aus Holz. Von hier aus lohnt sich auch das Erklimmen der 289 Wendeltreppenstufen, entlang einer Fotoausstellung über die Stadtgeschichte. Oben dann ein schöner Panoramablick über Leuven, Louvain, Löwen – hier wird Niederländisch, Französisch und Deutsch gesprochen, auf der Straße hört man meistens Englisch, die universelle Sprache der Studenten und Touristen.

Was auch typisch ist – Leuven liebt den Donnerstag: Wenn am späten Nachmittag junge Frauen und Männer ihre Rollkoffer über die Straße ziehen, dann spätestens wissen die Einheimischen: Ah ja, heute ist Donnerstag. "Man hört es laut rattern", sagt Luc, "das liegt daran, dass in der Altstadt keine Autos fahren dürfen und das Kopfsteinpflaster noch original erhalten ist." Die Studierenden gehen mit ihrem Gepäck schnurstracks zum Oude Markt, dem Treffpunkt, um zu plaudern, zu trinken und zu feiern, bevor es für das Wochenende nach Hause geht – entweder spätabends oder durchgefeiert in der Früh. Die anderen rollen am Freitag hinterher.

Der Oude Markt ist eine der belebtesten Gassen im mittelalterlichen Zentrum, auch als längste Bar der Welt bekannt. Zwischen historischen Häusern reihen sich, sozusagen Schulter an Schulter, kleine Trinkhallen, Tische und Stühle säumen das Trottoir. Musik schwebt an den Häusern entlang, hier läuft Techno, dort Stevie Wonder, blaue, grüne, rote Lichter beleuchten die Fassaden. Es wird gelacht und gesungen. Übrigens, die Stadt zählt 60.000 Immatrikulierte, das sind mehr als die Hälfte der 102.000 Einwohner.

Grüne Oasen, fossiler Sandstein

Der Blick von oben zeigt eine Stadt, die einst von einer Mauer umgeben war. Die wurde im 14. Jahrhundert angelegt, damals säumten Wiesen und Felder die Weite vor den Hütten und Häusern, erst im 20. Jahrhundert dehnte sich Leuven baulich bis zur Stadtgrenze aus. Hier und da sind noch restaurierte Reste des Stadtrings zu sehen. Außerhalb der einstigen Grenze gibt es grüne Oasen, Hügel aus fossilem Sandstein, Gärten und Felder. Und eine Abtei, die Park Abbey am Stadtrand, ein Areal von 42 Hektar mit Kirche, Museum und umgebauten Stallungen, ein beliebtes Ausflugsziel, fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad entfernt.

Leuven ist die Bierhauptstadt Belgiens: Neben der bekannten Brauerei Stella Artois existieren unzählige Craft-Bier-Betriebe und im Zentrum 40 Bierbars.
Leuven ist die Bierhauptstadt Belgiens: Neben der bekannten Brauerei Stella Artois existieren unzählige Craft-Bier-Betriebe und im Zentrum 40 Bierbars.
Farmboy/Janop De Kamp

Die Abtei ist ein außergewöhnlich gut erhaltenes Kulturerbe aus dem 12. Jahrhundert mit original restaurierten Innenräumen. Wie Stefan van Lani, Leiter der Abtei, erzählt, ist sie kein Museum, das man nur besichtigen kann, sondern eine belebte Anlage mit Gottesdiensten in der Kirche, kleinem Restaurant, Bioladen, Stallungen. In einigen Räumen sind inzwischen Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht.

Drumherum lässt es sich gut wandern und Rad fahren, eine Landschaft mit Teichen, Feldern und Wäldern. Zu jeder vollen Stunde ertönt weit über das Land ein Carillon-Glockenspiel, das an Frieden und Versöhnung erinnern soll. Übrigens eines der vier Glockenspiele von Leuven. Aber auch innerhalb der Stadt gibt es grüne Inseln. Beliebt ist der Botanische Garten, er ist der älteste Belgiens, von Medizinstudenten 1738 angelegt, mit kleinem Tropenhaus, Orangerie und Wegen zwischen allerlei Pflanzen. Hier spazieren Mütter mit Kinderwagen, sonnen sich die Alten auf den Bänken, lehnen Studenten an Bäumen, lernen und dösen.

Bier, Wein und Bananenlikör

Die Leuvener sind ein genussvolles Völkchen, lieben ihr lokales Bier wie Stella Artois, ebenso die einheimischen Craft-Biere beispielsweise von der Micro-Brasserie De Coureur (The Cyclist), wo sich Anrainer und Fahrradfahrer treffen. Ebenfalls gut besucht ist das Malz vom Braumeister Joren Monets mit einer großen Auswahl nationaler Biere. Zu essen gibt es überall die klassischen Pommes frites, dazu meist Burger. Doch eines überrascht: Neben Bier und Wein mögen die Leuvener Bananenlikör. Aus dem einst dunklen Kapitel belgischer Kolonialgeschichte im Kongo hat sich die überaus große Leidenschaft für Bananen erhalten, vor allem als Likör, aber auch unter wissenschaftlichen Aspekten: "Hier gibt es weltweit die größte Samenbank für die Zucht von Bananen, samt Forschungsprogramm für neue Sorten", erzählt Luc. Und selbst der Bananenlikör bekommt geschmacklich immer wieder neue Nuancen.

Luc führt Besucher gern zum Romanischen Tor des Kulturzentrums in der City und zückt einen Zehn-Euro-Geldschein. "Ich finde, dieses Tor sieht der Abbildung auf der Vorderseite dieses Geldscheins ähnlich. Was meinen Sie?" (Birgit Weidt, 20.12.2023)