Die ÖVP ist mit der Untersuchungskommission, die Justizministerin Alma Zadić zur Causa Pilnacek und Sobotka einrichten will, grundsätzlich einverstanden. Das macht dieses Unterfangen schon einmal sehr verdächtig: Wird wohl nicht viel rauskommen, lautet die Annahme. Tatsächlich werden sich die mutmaßlichen Interventionen und Eingriffe auch abseits des politischen Willens oder Nichtwollens nur schwer aufklären lassen: Die wichtigste Auskunftsperson, Christian Pilnacek, ist verstorben. Und Wolfgang Sobotka wird keinen Finger rühren, um irgendetwas zur Aufklärung beizutragen.

Justizministerin Alma Zadić (Grüne)
Will eine Untersuchungskommission zur Causa Pilnacek einrichten: Justizministerin Alma Zadić (Grüne).
REUTERS/Lisa Leutner

Diese Untersuchungskommission war eine Verlegenheitsgeste der Grünen, die lieber einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gesehen hätten, bei den anderen Parteien aber kein Gehör fanden. So reizvoll ein U-Ausschuss zu ÖVP-Interventionen sein mag, SPÖ und FPÖ haben im Parlament etwas anderes vor, und das wird die ÖVP vielleicht noch mehr schmerzen als Pilnacek: Die Opposition will sich die Verbindungen zu René Benko genauer anschauen und ein paar Cofag-Zahlungen mitnehmen.

Die Grünen stecken im Koalitionsdilemma: Sie wissen, dass die Aussagen von Pilnacek, der sich über Interventionsversuche der ÖVP beschwert hatte, nicht aus der Luft gegriffen sind. Sie wissen auch, welche Rolle Sobotka dabei spielt. Es ist ihnen bewusst, wie heikel die politische Einmischung in die Justiz ist. Eine starke und unabhängige Justiz ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Nur wenn die Justiz unbeirrt von politischen Begehrlichkeiten und Einmischungen arbeiten kann, wird Demokratie gut funktionieren.

Rücktrittsforderungen

Zadić konnte sich als Hüterin einer unabhängigen Justiz etablieren, sie ist das wirkungsvollste politische Aushängeschild, das die Grünen haben, stärker noch als Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die viel eher in den Niederungen der Tagespolitik stecken bleibt.

Wofür Wolfgang Sobotka steht – das geht in dieser Republik einfach nicht mehr. So klar, wie Pilnacek das in einem privaten Gespräch formuliert hat, lag das noch nicht auf dem Tisch. Die jungst bekanntgewordenen Aussagen böten allen Grund, diese Blase zu öffnen.

SPÖ, FPÖ und Neos fordern dezidiert den Rücktritt von Sobotka. Die Grünen tun das nicht. Sie sind in einer Koalition mit der ÖVP. Und wollen diese – noch – nicht gefährden. Einzelne Proponenten stellen fest, sie hätten an Sobotkas Stelle den Hut genommen. Weiter herauslehnen wollen sich die Grünen nicht, da geht die Koalitionsräson vor.

Den Grünen ist bewusst, dass sie sich viel stärker gegen die ÖVP positionieren müssen, wenn sie bei der kommenden Nationalratswahl reüssieren wollen. Die Koalition mit der ÖVP zieht auch sie hinunter. Die Regierung jetzt zu verlassen wäre ein starkes Signal. Aber der Zeitpunkt passt nicht: Die Grünen sind nicht bereit. Sie wollen ihren Erfolg, Reformen noch durchgebracht zu haben, verkaufen, das ginge komplett unter, wenn jetzt der Wahlkampf eröffnet wird. Daher sticheln die Grünen, stechen aber nicht.

Das ist eine gefährliche Taktik. Wenn sie den Zeitpunkt für einen Absprung versäumen, sind sie mitgehangen und mitgefangen. Dann wird die Wählerschaft ihren Vorbehalt gegen die ÖVP auch den Grünen umhängen. Mit allzu viel Taktiererei setzen die Grünen ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. (Michael Völker, 23.11.2023)