Ex-Radprofi Jan Ullrich hat endlich ausgesprochen, was alle schon wussten.
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Die Spatzen, die es als Erste von den Dächern seiner Heimatstadt Rostock pfiffen, sind schon seit Jahrzehnten im Vogelhimmel. Aber erst am Mittwochabend konnte sich der ehemalige Radprofi Jan Ullrich zu einem Geständnis überwinden. "Ja, ich habe gedopt", sagte der 49-Jährige anlässlich der Vorstellung der Dokumentarserie Jan Ullrich – Der Gejagte (ab 28. November auf Prime Video) in München.

Vor 26 Jahren gewann der Sohn eines Soldaten als erster Deutscher die Tour de France und löste einen Boom aus, der Millionen aufs Rad und vor die Fernsehgeräte lockte. Schon im Jahr davor, 1996, hatte er erstmals zu Dopingmitteln gegriffen und so gestärkt Platz zwei der Frankreich-Rundfahrt belegt. Nach seinem Triumph war Ullrich noch viermal Zweiter der Tour, dreimal hinter Lance Armstrong, der sein Geständnis schon seit fast elf Jahren hinter sich hat.

Der Texaner gilt als einer der größten Betrüger der Sportgeschichte. Ullrich will sich Ähnliches nicht nachsagen lassen, "weil ich ein fairer Mensch bin". Es sei ihm lediglich um Chancengleichheit gegangen in einem Umfeld, in dem ohne Doping auch dem eifrigsten Talent kein Erfolg beschieden gewesen wäre.

Ullrich stand nach seinem Olympiasieg 2000 in Sydney fast auf einer Stufe mit Michael Schumacher und Boris Becker. Um im deutschen Sportolymp zu bleiben, begann "Ulle", der zeit seiner Karriere mit seinem Gewicht zu kämpfen hatte, mit Eigenblutdoping. Die Verbindung mit dem spanischen Mediziner Eufemiano Fuentes wurde ihm zum Verhängnis. Als der aufflog, war es unter anderen auch um Ullrich geschehen.

2006 wurde er vor der Tour von seinem Team suspendiert. Der Boden sei ihm damals weggerissen worden, sagt Ullrich heute. Den Mut, zu seiner Dopinggeschichte zu stehen, fand er nicht. Die Fallhöhe war beträchtlich, Ullrich schlug schwer auf – finanzielle Probleme, Depressionen, Burnout, Alkohol, Drogen, Festnahmen nach Gewaltausbrüchen.

2019, nach einer Scheidung, trat der Vater von insgesamt vier Kindern wieder in Erscheinung, ohne davor für einen Skandal gesorgt zu haben. Inzwischen hofft er, über eine Rolle als TV-Experte hinaus wieder im Radsport unterzukommen. Ullrichs finales Geständnis könnte helfen, kommt aber auch für ihn selbst zu spät: "Wenn ich meine Geschichte erzählt hätte, hätte ich viele schöne Jahre gewinnen können." (Sigi Lützow, 23.11.2023)