U-Ausschuss Parlament ÖVP
Aktenanlieferung im Dezember 2022 anlässlich des ÖVP-Korruptions-U-Ausschusses im Camineum der Nationalbibliothek in Wien.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Die Überraschung stand den im Fernsehstudio sitzenden Oppositionspolitikerinnen und -politikern ins Gesicht geschrieben. Dass sich ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker am Sonntagabend in der ORF-Sendung "Im Zentrum" grundsätzlich für eine Liveübertragung von Untersuchungs­ausschüssen aussprach, war tatsächlich eine Neuerung. Es gebe Bedenken in seiner Partei, er aber sei dafür, Übertragungen "sofort" zuzulassen. Prompt wurde Stocker aufgerufen, die Änderung umgehend in die Wege zu leiten. Gibt es bald Kameras im Sitzungssaal?

Frage: Wie stand die ÖVP denn bisher zu einer Liveübertragung von U-Ausschüssen?

Antwort: Eine Liveschaltung hatte die ÖVP bisher stets an eine Gesamtreform des U-Ausschussrechts geknüpft. Stocker meinte nun, dass es in der ÖVP immer noch Sorge wegen der Rechte von Auskunftspersonen, die keine öffentlichen Personen seien, gebe. Er halte es aber für besser, wenn Aussagen von der Bevölkerung direkt mitverfolgt werden könnten, damit sie im Nachhinein nicht verzerrt wiedergegeben werden könnten. So es mit den Grundrechten der betroffenen Person vereinbar sei, sollten deren Befragungen in den Ausschüssen direkt verfolgbar sein.

Frage: Wie stehen die anderen Parteien zu einem möglichen ÖVP-Schwenk?

Antwort: Alle anderen Parteien – Grüne und die Opposition – stehen für das Vorhaben ein, die Öffentlichkeit an U-Ausschüssen teilhaben zu lassen. Kai Jan Krainer, roter Fraktionschef im vergangenen April zu Ende gegangenen ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss, traut der Sache aber nicht ganz. "Die ÖVP hat sich jetzt ganz schön weit hinausgelehnt. Da kann sie schwer wieder zurück, ohne lächerlich zu werden", sagt Krainer im STANDARD-Gespräch. Er befürchtet aber, "dass die Türkisen wieder ein Schlupfloch finden werden". Sollte sich die ÖVP zu einem Ja zu Liveübertragungen entschließen, wäre dies "großartig". Die anderen Parlamentsparteien zeigten sich ebenso erfreut über die Worte des ÖVP-Generalsekretärs – aber auch skeptisch. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker sagte im Ö1-"Journal": "Ich glaube es erst dann, wenn ich es sehe." Ähnlich äußerte sich der Vizeklubchef der Neos, Nikolaus Scherak: Wenn die ÖVP ihre Meinung in der Sache geändert habe, "freut es mich. Ich glaube es nur nicht ganz." Die Grünen melden sich per Aussendung zu Wort: "Es freut uns, dass es auch die ÖVP nun so sieht. Wir sind jederzeit bereit, das zu ermöglichen."

Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass in Zukunft U-Ausschüsse live übertragen werden?

Antwort: Es ist zumindest wahrscheinlicher geworden. Eine tatsächliche Änderung wäre eine ziemliche Wende. Bisher hat die Volkspartei diese ja hartnäckig blockiert. SPÖ, Grüne, FPÖ und Neos waren stets dafür, ein entsprechender Antrag liegt seit drei Jahren im Parlament. Die ÖVP stellte in der Vergangenheit etwa die Gegenforderung, die Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen aufzuheben, was von allen anderen Parteien abgelehnt wird. Andreas Hanger, ÖVP-Fraktionsführer im beendeten ÖVP-U-Ausschuss, brachte auch ins Spiel, dass die Wahrheitspflicht nicht nur für Auskunftspersonen gelten solle, sondern auch für befragende Abgeordnete. International sind mitfilmende Kameras in Ausschüssen längst Realität: in Deutschland, den USA oder Großbritannien etwa. In den USA lassen sich die Ausschussprotokolle anschließend auch nachlesen. Politisch wäre eine solche Änderung rasch durchführbar, sie verlangt aber eine Zweidrittelmehrheit im Parlament – und die ist gegen die ÖVP nicht durchsetzbar. Ob die ÖVP nun tatsächlich ihren ­Widerstand aufgibt, ließ die Volkspartei am Montag offen. ÖVP-Klubchef August Wöginger wollte auf Nachfrage des STANDARD jedenfalls "nichts Näheres" über den Vorstoß des Generalsekretärs sagen. Man werde sich "zeitnah" wieder äußern.

Frage: Eine Liveübertragung wird schon länger gefordert. Warum ist sie wieder Thema?

Antwort: Grund ist eine kürzlich aufgetauchte Aufzeichnung eines Gesprächs von Juli 2023. Darin unterhält sich der ehemalige und inzwischen verstorbene Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, in einem Lokal mit zwei Bekannten über zahlreiche Interventionsversuche, konkret nennt er die ÖVP. So sei er von der einstigen Justizministerin Beatrix Karl unter Druck gesetzt worden, Ermittlungen gegen die ÖVP einzustellen. ­Explizit fällt auch der Name von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. SPÖ, FPÖ und Neos fordern nun Sobotkas Rücktritt, der grüne Koalitionspartner legt diesen zumindest nahe. Sobotka bestreitet die Vorwürfe.

Frage: Und was hat diese Causa jetzt mit der Liveübertragung von U-Ausschüssen zu tun?

Antwort: ÖVP und Opposition streiten sich dieser Tage, ob der Spitzenbeamte Pilnacek in einer U-Ausschuss-Sitzung im Jahr 2020 zugegeben hat, dass es politische Einflussnahme gegeben habe. Christian Stocker wie auch Kanzler Karl Nehammer befinden, Pilnacek habe dies "klar verneint". Die Opposition hingegen verweist auf ein Zitat aus dem Protokoll, wonach Pilnacek sagt, er habe "niemals Druck weitergegeben". Bei der Frage, von wem Interventionsversuche ausgegangen seien, entschlug sich Pilnacek.

Frage: Es schwirren doch gerade mehrere U-Ausschüsse durch die Medien. Worum geht es bei den anderen Ausschüssen?

Antwort: Am Wochenende gab die ÖVP ihrerseits bekannt, Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) und FPÖ-Chef Herbert Kickl als erste Auskunftspersonen in den von ihr initiierten "Rot-blauen-Machtmissbrauch-Untersuchungsausschuss" zu laden. Die ÖVP will in dem von ihr initiierten Ausschuss einen möglichen Missbrauch öffentlicher Gelder unter SPÖ- und FPÖ-Regierungsbeteiligungen untersuchen. In einem von SPÖ und FPÖ verlangten U-Ausschuss geht es um die etwaige Bevorzugung ÖVP-naher Milliardäre. (Anna Giulia Fink, Walter Müller, 27.11.2023)