FPÖ-Chef Herbert Kickl tourt in Richtung Ballhausplatz. Die anderen Parteien reagieren darauf mit einer Mischung aus Resignation und Ignoranz.
Florian Voggeneder

Herbert Kickl will "Volkskanzler" werden, und er sieht sich seinem Ziel schon so nahe, dass er nichts dagegen hat, wenn er jetzt schon so genannt wird. Analogien zur Nazidiktion scheinen ihn dabei nicht zu stören. Und andere auch nicht. Tatsächlich liegt die FPÖ in allen Umfragen seit etwa einem Jahr stabil an erster Stelle – mit komfortablem Vorsprung. Ist Herbert Kickl als Kanzler tatsächlich unausweichlich?

Einen Kanzler Kickl können und wollen sich – außerhalb der FPÖ – die wenigsten vorstellen. Aus vielen guten Gründen.

Aber wenn die FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl mit Abstand stärkste politische Kraft wird, dann wird auch an Kickl als Kanzler kein Weg vorbeiführen. Die anderen Parteien betreiben Realitätsverweigerung, sie verschließen vor diesem drohenden Szenario die Augen – und machen nichts. Es gibt bei SPÖ, ÖVP und Grünen offenbar keinerlei Rezept und Idee, wie die FPÖ zu stoppen wäre. Wenn man sich die aktuellen Auseinandersetzungen um die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen ansieht, muss man sagen: im Gegenteil. Anstatt der FPÖ Wähler abspenstig zu machen, treibt man sie ihnen noch zu. Gerade die Regierungsparteien haben kein Angebot, mit dem sie dieses knappe Drittel an enttäuschter Wählerschaft abholen könnten. Offenbar vertrauen alle darauf, dass die FPÖ noch über sich selbst stolpern wird, dass noch irgendetwas passiert, ein Skandal auftaucht, der die FPÖ so erschüttert, dass ihr die Wähler rechtzeitig den Rücken kehren werden.

Professionelle Führung

Das wird nicht passieren, und darauf kann man sich nicht verlassen. Erstens gibt es Skandale genug, die die Wählbarkeit der FPÖ infrage stellen müssten. Es gibt in der steirischen FPÖ einen handfesten Finanzskandal, der immer weitere Kreise zieht. Den FPÖ-Sympathisanten scheint das egal zu sein. Und allen anderen offenbar auch. Die anderen Parteien steigen kaum darauf ein. Zweitens muss man feststellen, dass die Freiheitlichen unter der Führung von Kickl einen Grad der Professionalisierung erreicht haben, dass ihnen kaum noch Fehler unterlaufen. Einzelne sprachliche Ausritte dürften bewusst gesetzt sein. Das "Projekt Volkskanzler" wird penibel vorbereitet.

Das kann einem Angst machen. Nach allem, was man aus der FPÖ hört und weiß, würde Kickl die Republik in Richtung einer illiberalen Demokratie steuern. Den kritischen Medien, die auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind, würde wohl das Licht abgedreht werden. Kritische Stimmen würden diffamiert werden. In der Familienpolitik, in der Frauenpolitik und in der Bildungspolitik wären massive Rückschritte zu erwarten, hin zu einem äußerst konservativen, rückwärtsgewandten Gesellschaftsbild. Im Zusammenleben mit Menschen, die andere Vorstellungen und einen anderen Lebensentwurf haben, würde wohl noch mehr auf Provokation und Konfrontation anstelle eines toleranten Miteinander gesetzt werden. Was Ausländer zu erwarten hätten, weiß man, daraus macht die FPÖ kein Hehl. Sie trägt ihre Ausländerfeindlichkeit stolz wie eine Auszeichnung vor sich her.

Was kann man dagegenhalten? Zuwarten wird nicht helfen. In erster Linie müssten die Parteien verständliche Antworten auf die Sorgen und Probleme der Menschen finden. Wir müssen die Sorgen der Menschen, so diffus sie mitunter seien mögen, ernst nehmen – und zwar über diese Floskel hinaus. Es geht darum, konkrete und praktische Lösungsansätze zu finden. Den Menschen wieder das Gefühl geben, dass sich Politik am Wohlergehen der Bürger ausrichtet und nicht am Machterhalt und am Aufteilen der Pfründe.

An den Menschen vorbei

Wir haben derzeit eine politische Führung, die sich kaum verständlich machen kann. Das gilt insbesondere für die ÖVP, die mit ihrer seltsamen "Glaub an dieses Österreich"-Kampagne zeigt, wie sehr man an den Menschen vorbei schwadronieren kann.

Auch die anderen Parteien haben kein Rezept. Am ehesten noch versucht SPÖ-Chef Andreas Babler, direkt bei den Menschen anzusetzen. Aber auch er verirrt sich in nicht relevanten Themenlagen oder tappt allzu schnell in die Populismusfalle. Dieser aufgesetzte Klassenkampf, das ist zu sehr Klientelpolitik. Das Gegeneinander, auf das Babler setzt und das wohl der Oppositionsrolle geschuldet ist, nährt Zweifel, ob er tatsächlich Kanzler kann und zu einer konstruktiven, alle umfassenden Führung des Landes imstande wäre. (Was man bei Kickl ja ausschließen kann.)

Was hilft gegen die FPÖ? Erstens anschaulich und begreifbar auf die Gefahren aufmerksam machen, die mit einer Machtergreifung durch die Freiheitlichen einhergingen. Zweitens bessere Politik machen, konkrete Vorschläge zur Lösung der Probleme vorlegen, Anliegen erklären, glaubwürdig und authentisch. Letzteres ist mit Sicherheit die schwierigere Aufgabe, sonst würden nicht so viele Politiker so konsequent daran scheitern. Drittens: nicht aufgeben, nicht einschüchtern lassen. (Michael Völker, 30.11.2023)