Schlagzeilen wie "Die Rolex-Blase ist geplatzt" ("Frankfurter Allgemeine") oder "Price drops accelerate for Rolex" (Watchpro) ließen jüngst Uhrenenthusiasten und vor allem Rolex-Fans aufhorchen. So mancher könnte angesichts dieser Nachrichten auf den ersten Blick gar hoffen, nach jahrelangem Warten bald sein Lieblingsmodell in Händen zu halten. Denn die Wartelisten für besonders begehrte Modelle wie Daytona oder Submariner sind berüchtigt lang.

Doch so einfach ist die Sache offenbar nicht. "Bei uns ist die Nachfrage nach Rolex-Uhren weiterhin hoch", heißt es auf Nachfrage des STANDARD von Juwelier Wagner in Wien, immerhin seit 69 Jahren autorisierter Konzessionär der Marke. "Die Wartezeiten bleiben nach wie vor unverändert." Diese Beobachtung macht auch Philipp Roten, Chef des Online-Uhrenhändlers Chronext: "Die Wartelisten für Daytona und Submariner sind bei den Konzessionären für Jahre gefüllt", so drückt er es aus.

Oyster Cosmograph Daytona von Rolex: eines der begehrtesten Uhrenmodelle der Welt. Die aktuelle Edelstahl-Version kostet neu 14.950 Euro.
Oyster Cosmograph Daytona von Rolex: eines der begehrtesten Uhrenmodelle der Welt. Die aktuelle Edelstahlversion kostet neu 14.950 Euro.
©Rolex/Alain Costa

Was sich verändert hat, sind die Preise auf dem Secondhandmarkt. Während die Schweizer Uhrenbranche so viele neue Modelle für so viel Geld wie noch nie verkauft – 2022 wurde mit einem Exportvolumen von 24,8 Milliarden Franken ein Rekord erreicht, der 2023 im Oktober nochmals um mehr als acht Prozent übertroffen wurde –, ist das Preisniveau auf dem Gebrauchtuhrenmarkt gesunken. Beide Märkte scheinen sich voneinander entkoppelt zu haben, wie Marcel Speiser vom Schweizer Magazin "Bilanz" festhält. Bei Juwelier Wagner drückt man es so aus: "Schwankungen der Preise am Sekundärmarkt haben in unserem Unternehmen keinen Einfluss."

Fällige Korrektur

Tatsächlich rumpelt es auf dem Zweitmarkt seit einiger Zeit ordentlich. Der durchschnittliche Wert einer Luxusuhr ist seit dem Frühjahr 2022 um 37 Prozent gefallen, geht aus einem Index des Analysehauses Watch Charts hervor, wo man die Entwicklung der beliebtesten 60 Luxusuhren misst. Besonders betroffen sind so gehypte Modelle wie die Rolex Daytona, die Nautilus von Patek Philippe, aber auch die Royal Oak von Audemars Piguet. Wir sprechen hier also, das sei an dieser Stelle angemerkt, von Zeitmessern, die für den Normalverdiener außer Reichweite sind.

Royal Oak Automatik aus weißer Keramik von Audemars Piguet. Neupreis: 47.400 Schweizer Franken (50.172 Euro)
Royal Oak Automatik aus weißer Keramik von Audemars Piguet. Neupreis: 47.400 Schweizer Franken (50.172 Euro).
Audemars Piguet

Expertinnen und Experten sehen darin jedenfalls eine längst fällige Korrektur des Preisniveaus, das sich während der Corona-Krise zu absurden Höhen hochgeschaukelt hatte. Käuferinnen und Käufer zahlten für manche Modelle den doppelten oder dreifachen Preis. "Die extremen Kursavancen während der Pandemie waren teilweise nicht nachhaltig", resümiert zum Beispiel Philipp Roten. Man begrüße bei Chronext, einer Handelsplattform für neue, gebrauchte und Vintage-Uhren, die Normalisierung der Preise.

Spekulanten in Nöten

Zurückzuführen sind diese "Kursavancen" neben anderen Faktoren auf die Marken selbst: Sie setzen auf Verknappung, das führt zu Exklusivität, was wiederum Begehrlichkeiten weckt. Davon profitierte der Secondhandhandel. Denn dorthin wichen jene Kundinnen und Kunden aus, um sich den Traum von ihrer Luxusuhr zeitnah zu erfüllen. Sie nahmen dafür auch enorme Preisaufschläge in Kauf. Für die Uhrenmarken wiederum war und ist die Preisentwicklung, ähnlich wie die des Aktienkurses, ein guter Gradmesser für den Wert und das Ansehen bestimmter Modelle.

Spekulanten, die sogenannten Flipper, wiederum nutzten die Gunst der Stunde und machten fallweise wohl das Geschäft ihres Lebens. Ihr Geschäftsmodell: begehrte Uhren kaufen und mit Aufschlag weiterveräußern. Jetzt, da der Wind sich dreht – Stichwort: Inflation, hohe Kreditzinsen, schlechte Wirtschaftsaussichten, sinkende Kaufkraft ... –, bleiben sie allerdings auf ihren Waren sitzen und versuchen diese möglichst noch zu einem für sie guten Preis loszuwerden. Dieser Angebotsanstieg führt schließlich wieder zu einem Preisverfall.

"Unseres Erachtens ist hier ein differenzierterer Blick nötig", sagt Tim Stracke, CEO der weltgrößten Uhrenhandelsplattform Chrono24. Er ist der Meinung, dass die Nachricht vom starken Rückgang der Preise eher zur Entwicklung im Sommer des vergangenen Jahres passe als zur aktuellen Situation. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den hauseigenen Uhrenmarktindex Chronopulse, der auf realen Verkaufsdaten basiere. Der Index zeigt, dass die Preise im Gesamtmarkt in den letzten sechs Monaten um 2,92 Prozent gefallen sind. Bei Rolex waren es 2,5 Prozent. "Wir stellen fest, dass in den letzten Monaten ein Preisrückgang stattgefunden hat, wobei sich die Dynamik dieses Rückgangs seit Jahresbeginn deutlich verlangsamt hat", sagt er.

Stracke glaubt, wie auch andere Expertinnen und Experten, dass sich der Markt mittelfristig auf einem stabilen Niveau einpendeln werde. Zudem beobachte er bereits wieder einen Aufwärtstrend bei einigen Rolex-Modellen. Zu welchen Uhrenmarken rät er jemandem, der trotz wirtschaftlich angespannter Gesamtsituation noch etwas Kleingeld übrig hat und dem Rolex momentan zu volatil erscheint? Man solle Marken ins Auge fassen, die den signifikanten Preisanstieg aus dem letzten Frühjahr nicht mitgemacht haben: "Marken wie Jaeger-LeCoultre oder Cartier zeigen eine beachtliche Preisstabilität." (Markus Böhm, 5.12.2023)