Der tschechische Premier Petr Fiala (links) und Österreichs Kanzler Karl Nehammer am Montag in Wien. Für Fiala war es die erste bilaterale Visite seit seinem Amtsantritt im November 2021.
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Der tschechische Premierminister Petr Fiala warb am Montag bei seinem Besuch in Wien für Verständnis für den geplanten Ausbau der Kernenergie in seinem Land. Der österreichische Nationalrat hatte sich vor einem Jahr gegen die Errichtung von kleinen modularen Atomreaktoren, sogenannten Small Modular Reactors (SMRs), in Tschechien ausgesprochen. Der staatliche tschechische Energieversorger ČEZ wiederum will bis 2032 ein Pilotprojekt mit Mini-AKW am Gelände rund um das südböhmische Kernkraftwerk Temelín umsetzen.

Bei der Weltklimakonferenz COP 28 in Dubai habe er erst vor wenigen Tagen ein Dokument mitunterzeichnet, das sich für eine Verdreifachung der Energieproduktion aus Kernkraft bis zum Jahr 2050 ausspricht, so Fiala auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP): "Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, auf die wir uns gemeinsam geeinigt haben, dann ist es für einige Länder unumgänglich, die Kernenergie auszubauen." Die geografischen Bedingungen in Tschechien würden es nicht erlauben, die gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen zu produzieren.

Fiala betonte, dass sein Land jahrzehntelange Erfahrung mit der Nutzung von Kernenergie habe. Er respektiere und verstehe jedoch all jene, die einen anderen Weg gehen wollen: "Wichtig ist, dass wir Länder wie Österreich davon überzeugen, dass unsere Atomanlagen sicher sind und die modernsten Standards erfüllen. Wir sind zu jeder Form der Zusammenarbeit bereit, um die Sorgen der Menschen in Österreich zu zerstreuen."

Einigkeit in vielen Fragen

Bei vielen anderen Themen zeigten sich die Regierungschefs in demonstrativer Einigkeit. Beide erinnerten etwa an ihre gemeinsame Reise nach Israel Ende Oktober: "Wir wollten gemeinsam unsere Solidarität mit dem israelischen Volk, mit Israel ausdrücken", erklärte Nehammer. Innerhalb der EU seien Österreich und Tschechien starke Partner Israels bei der Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation Hamas. Gleichzeitig würde man tun, was möglich ist, um Palästinenserinnen und Palästinensern eine Zukunft zu geben und die Zweistaatenlösung weiter voranzutreiben, so Nehammer. "Aber klar ist: Am Leid der Palästinenser im Gazastreifen ist derzeit die Terrororganisation Hamas schuld, weil sie Zivilistinnen und Zivilisten als Schutzschilde benutzt."

Weitgehend einig zeigten beide sich auch beim Thema Migration. Fiala räumte zwar ein, dass die "Tschechische Republik keine Freude mit den temporären Kontrollen an der Grenze hat". Laut Nehammer unterstützen jedoch beide Länder den Plan, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten durchzuführen: "Aus unserer Sicht, und auch aus Sicht vieler weiterer Verbündeter in der EU, ist das eine wichtige Perspektive, um gegen irreguläre Migration vorzugehen und der organisierten Kriminalität das Handwerk zu legen." Nehammer bezeichnete es zudem als "beeindruckend", was Tschechien bei der Versorgung von Ukrainerinnen und Ukrainern leistet. Fiala selbst wies darauf hin, dass Tschechien pro Kopf in ganz Europa die größte Zahl von ukrainischen Flüchtlingen aufgenommen hat.

Nato-Staat Tschechien

Auch in Sicherheitsfragen lobten Fiala und Nehammer die Zusammenarbeit zwischen dem Nato-Mitglied Tschechien und dem neutralen Österreich. "Wir sind uns beide dessen bewusst, dass wir nicht in einer sicheren Welt leben. Die Zeit der Sorglosigkeit ist vorbei", sagte Fiala mit Blick auf die Gewalt im Nahen Osten und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Die Regierung in Prag zählt zu jenen in Mittel- und Osteuropa, die Kiew besonders stark unterstützen. Nehammer wiederum kam insbesondere auf das europäische Luftverteidigungssystem Sky Shield zu sprechen: "Wir sind neutral, aber wir können, genauso wie die Schweiz, an dem Raketenschutzschirm teilnehmen." Die Entscheidungen, welche Flugobjekte im Rahmen des Systems abgeschossen werden, würden jeweils souverän getroffen. Für Österreich läge darin jedenfalls die Chance, mehr Sicherheit für die Menschen im Land zu garantieren, so Nehammer: "Auch hier ist Tschechien ein verlässlicher Partner."

Ein Dauerbrenner bei bilateralen Besuchen zwischen Österreich und Tschechien ist seit vielen Jahren der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Bei zwei wichtigen Straßenverbindungen fehlen jeweils auf tschechischer Seite noch wichtige Abschnitte. Premier Fiala skizzierte in Wien nun den aktuellen Zeitplan: Die Autobahn D3 zwischen dem südböhmischen České Budějovice (Budweis) und Linz soll vor der Grenze bei Dolní Dvořiště innerhalb der nächsten drei Jahre fertiggestellt sein. Bei der D52 zwischen dem südmährischen Brno (Brünn) und Wien wird es noch etwas länger dauern: Fiala rechnet mit einer Fertigstellung des letzten Abschnitts im Jahr 2031. Auch der Ausbau der Bahntrassen soll weiter vorangetrieben werden, etwa auf der geplanten Schnellverbindung Wien-Prag-Berlin.

Gedenken an Karl Schwarzenberg

Zur Sprache kam bei der Begegnung in Wien auch das Gedenken an den ehemaligen tschechischen Außenminister Karl Schwarzenberg, der am 12. November in Wien verstorben war. "Er war ein großer Europäer, ein Brückenbauer und Verbinder zwischen Tschechien und Österreich, als nach dem Zusammenbruch des Kommunismus alles begann, neu zusammenzuwachsen", sagte Österreichs Kanzler Nehammer. Fiala pflichtete ihm bei: "Die bilateralen Beziehungen entwickeln sich nicht nur auf der politischen oder wirtschaftlichen Ebene, sondern auch im kulturellen und im zwischenmenschlichen Bereich. Ein Beispiel dafür, dass uns all das verbindet, war auch Karl Schwarzenberg."

Schwarzenberg hatte nach seiner Emigration 1948, dem Jahr der kommunistischen Machtergreifung in der damaligen Tschechoslowakei, bis zur Samtenen Revolution des Jahres 1989 und dem Fall des Eisernen Vorhangs überwiegend in Österreich gelebt. Von hier aus hatte er auch die Demokratiebewegung in seiner Heimat unterstützt. In der Kapelle des Bundeskanzleramts zündeten Nehammer und Fiala im Anschluss an die Pressekonferenz eine Kerze für Schwarzenberg an. (Gerald Schubert, 4.12.2023)