Wer darf zuschauen, wenn das Parlament aufklärt? Diese Frage steht gerade im Zentrum einer politischen Debatte: Die ÖVP hat ja vor kurzem ihren Widerstand gegen Live-Übertragungen aus Untersuchungsausschüssen aufgegeben. Eine erste Gesprächsrunde zwischen den Parteien dazu soll am 14. Dezember stattfinden.

Kann nach einer Reform tatsächlich jeder und jede zu Hause bei den Befragungen im U-Ausschuss zuschauen, könnte der Nationalrat einem Rechtsstreit zuvorkommen: Denn schon jetzt ist es fraglich, ob die Untersuchungsausschüsse des Parlaments öffentlich genug sind.

U-Ausschuss Lokal in der Hofburg
Das Ausschuss-Lokal im neu renovierten Parlament wird nicht wesentlich geräumiger sein als jenes im hier abgebildeten Ausweichquartier. Plätze für Journalistinnen und Journalisten gibt es aber da wie dort.
IMAGO/SEPA.Media

Nur Journalisten erlaubt

Aktuell dürfen nur Medienvertreterinnen und Medienvertreter ins Ausschusslokal, wenn die Abgeordneten die Auskunftspersonen befragen. In "medienöffentlichen" Sitzungsteilen des Ausschusses dürfen sie mitschreiben und zitieren, nicht aber filmen, fotografieren oder mitschneiden. Wer nicht journalistisch für ein Medium arbeitet, darf allerdings überhaupt nicht in das Lokal des Untersuchungsausschusses.

Genau gegen diese Regelung haben zwei Bürger erfolgreich geklagt – Anfang der 1990er-Jahre in Tirol.

Rechtlich nicht gedeckt

Die beiden Männer wollten 1992 bei den Befragungen zum Hotel-Royal-Untersuchungssausschuss im Tiroler Landtag dabei sein, der Zutritt wurde ihnen aber verwehrt. Gegen diese Entscheidung legten sie Beschwerde ein – darüber entschied der Verfassungsgerichtshof (VfGH) und gab den Beschwerdeführern in einem entscheidenden Teil recht: Die Einschränkung der Zuschaumöglichkeit auf Medienvertreterinnen und Medienvertreter im Tiroler Landtag war verfassungswidrig. "Diese Regelung behandelt Medienvertreter einerseits sowie die übrigen Normunterworfenen andererseits unterschiedlich und lässt hiebei räumliche Gegebenheiten von vorneherein außer Betracht", erkannte der VfGH kritisch. "Für diese Art von Differenzierung lässt sich keine sachliche Rechtfertigung im Sinn des Gleichheitssatzes finden."

Es sei zwar nicht von vornherein unzulässig, Medien etwa bei der Sitzplatzvergabe zu bevorzugen. Aber der automatische Ausschluss nichtjournalistischer Bürgerinnen und Bürger sei verfassungsrechtlich nicht gedeckt.

Der Parlamentarismusexperte Werner Zögernitz hält die Regelung für U-Ausschüsse im Nationalrat allerdings für verfassungsrechtlich abgesichert. Die Beschränkung auf journalistisches "Publikum" im Ausschuss ziele ja darauf ab, möglichst viele Menschen zu informieren. "Ich schließe aus, dass diese Regelung verfassungswidrig ist", sagt der Jurist.

"Nur eine Frage des Anlassfalls"

Peter Bußjäger ist sich da nicht so sicher. "Ich habe mich schon länger gefragt, ob das verfassungskonform ist", sagt der Verfassungsexperte zum STANDARD. Aus seiner Sicht spricht das Erkenntnis aus dem Jahr 1993 sogar für eine Live-Übertragung: Denn der fehlende Platz sei damals ein schlagendes Argument gewesen, angesichts der technischen Möglichkeiten 30 Jahre später sei das anders. "Das Erkenntnis von damals spricht für eine Live-Übertragung", sagt Bußjäger. Würde heute eine Nichtjournalistin oder ein Nichtjournalist gegen den Ausschluss vom Ausschuss Beschwerde einlegen, hätte er wohl gute Chancen, glaubt der Jurist.

Mit der Frage der Auswirkungen des Tirol-Erkenntnisses befasste sich auch ein juristischer Aufsatz von Ingrid Siess-Scherz im Jahr 1998. Sie findet es "unverständlich", dass der Gesetzgeber den Widerspruch nicht beseitigt hat. Denn "es dürfte nur eine Frage eines geeigneten Anlassfalls sein, bis der VfGH" das Gesetz "aufheben wird", schreibt die damalige Mitarbeiterin des Verfassungsdiensts im Bundeskanzleramt. Siess-Scherz ist heute Mitglied des Verfassungsgerichtshofs. (Sebastian Fellner, 6.12.2023)