Im Kampus sitzen Business-Lunch-Leute Tisch an Tisch mit schmausenden Studierenden. Tritt man vor die Türe dieses modernen Gastrokomplexes in einer Fußgängerzone und spaziert über die Rüütli- oder die Küüni-Straße vorbei an vollen Beiseln, bleiben keine Zweifel mehr offen: Das hier muss das wichtigste Studierenden-Zentrum des Landes sein. Mehr noch. In Tartu steht die älteste Universität Nordeuropas. 2024 wird Estlands zweitgrößte Stadt zudem Europäische Kulturhauptstadt sein.

Der Hauptplatz von Tartu in Estland
Tartu ist Lebensmittelpunkt vieler Studierenden und Standort einer Großbrauerei.
Brand Estonia / Riina Varol

Auf dem Weg hierher, etwa von der Hauptstadt Tallinn kommend, stößt man in dem baltischen Land mit der finnisch-ugrischen Sprache fast überall auf einen ungewöhnlichen Namen: A. Le Coq. Im Öllemuuseum von Tartu klärt sich die Herkunft schließlich auf. Die Familie Le Coq waren preussische Hugenotten, die zuerst in London und später in Tartu Bier brauten. Wie an den fast flächendecken angebrachten roten "A-Le-Coq"-Sonnenschirmen und Markisen unschwer zu erkennen ist, wird der Durst im ganzen Land bis heute von der Brauerei A. Le Coq gestillt ­– mit einer Getränkekarte, die vom klassischen Lagerbier über Obstwein und Gin bis hin zu Sodawasser und Smoothies reicht. Die Brauerei, die ein gut gestaltetes Museum beherbergt, liegt in Gehweite nordwestlich des Zentrums und lohnt einen Besuch.

Restaurant Kampus in Tartu
Aktuell ist der Schanigarten des Kampus etwas weniger gefragt.
Brand Estonia / Peter Paxx

So ist dort etwa in Erfahrung zu bringen, dass das Bier aus Tartu einst zu den beliebtesten in der Sowjetunion gehörte und die Brauerei schon davor bei der Eröffnung die modernste im gesamten russischen Reich gewesen ist. Zu dieser Zeit allerdings kannten die meisten Menschen die Stadt unter ihrem deutschen und schwedischen Namen Dorpat. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt im Zuge der Russifizierung zwar offiziell in Jurjew umbenannt, doch selbst die russischen Besatzer verwendeten diesen Namen kaum.

Das Ahhaa Science Centre in Tartu, Estland
Das Ahhaa Science Centre ist ein Ort für Wissenschaftsvermittlung und recht viel Spaß.
Brand Estonia / Anna Svetlichnaia

Bleibt noch eine Frage offen: Ist eine Stadt mit immer viel Bier und im Jahr 2024 auch viel Kultur ein interessantes Ziel für Familien? Durchaus, denn Tartu ist nicht nur im Botanischen Garten eine grüne Oase und zeigt sich vielerorts kinderfreundlich. Ganz besonders im sehr gut gemachten Ahhaa Science Centre, einem ganzjährig nutzbaren, wissenschaftlichen Mitmachspielplatz, der auch Erwachsene überrascht. (Sascha Aumüller, 1.1.2024)