Serbiens Präsident Aleksandar Vučić ist während einer Wahlveranstaltung seiner Partei auf einer Videowall zu sehen.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić ist während einer Wahlveranstaltung seiner Partei auf einer Videowall zu sehen.
AP/Darko Vojinovic

Diesmal spielt er den Oberlehrer, der zwei Männern im Gasthaus erklärt, dass der Staat besonders viel Geld für Familien mit vielen Kindern ausgibt. In dem aktuellen TV-Spot vor den Wahlen am Sonntag malt der serbische Präsident Aleksandar Vučić mit Kreide Zahlen auf eine Tafel. Der wissende Mann erklärt, die Bürger müssen zuhören.

Obwohl er bei den Parlaments- und Lokalwahlen gar nicht antritt und obwohl er auch offiziell gar nicht mehr der Chef der beinahe allmächtigen Fortschrittspartei (SNS) ist, geht es auch diesmal vorwiegend um ihn. In den vergangenen zehn Jahren hat Vučić, der unter Slobodan Milošević Propagandaminister war, die Medien unter die Kontrolle des Regimes gebracht, die nun mit aggressiver Rhetorik gegen alle Andersdenkenden vorgehen – obwohl diese in Serbien ohnedies nur eine Minderheit darstellen.

Sinkende Demokratiestandards

Das Institut Varieties for Democracies (V-Dem) attestierte Serbien in seinem jüngsten Report sinkende Demokratiestandards und bezeichnete es als eine "gewählte Autokratie". Freedom House befindet, dass die SNS "politische Rechte und bürgerliche Freiheiten untergräbt und Druck auf unabhängige Medien, die Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen ausübt". Das ist auch im Wahlkampf zu erkennen.

Die Delegation des Europarates, die jüngst Serbien besuchte, erklärte in ihrem Bericht vom 27. November, dass der Wahlkampf von "einem beispiellosen Ausmaß an negativen Kampagnen und Panikmache, Angriffen gegen die Opposition und Journalisten" geprägt sei. So wurde etwa der Oppositionspolitiker Pavle Grbović als kroatischer Faschist dargestellt, obwohl er mit den Ustascha nichts zu tun hat. Von einem anderen Oppositionellen wurde ein Sexvideo verbreitet.

Insbesondere die TV-Sender favorisieren die Regierungsparteien in einem peinlichen Ausmaß. Die Organisation CRTA, die seit Jahren Demokratie- und Wahlbeobachtung durchführt, zeigt auf, dass Vučić – obwohl er gar nicht antritt – mehr als die Hälfte der Zeit und des Platzes in den einflussreichsten Medien zur Verfügung gestellt wird.

Unter Druck

Bereits in den ersten drei Wochen des Wahlkampfs zählte CRTA 50 Ereignisse, bei denen öffentliche Ressourcen von Parteien missbraucht wurden. Vor allem jene Serbinnen und Serben, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, stehen unter Druck. Die Plattform "Balkaninsight" berichtete etwa, dass eine Mitarbeiterin der örtlichen Verwaltung der serbischen Stadt Kragujevac auf einen schlechteren Posten versetzt wurde, weil sie sich geweigert hatte, Stimmen für die Fortschrittspartei sicherzustellen. Die Oppositionspartei Freiheit und Gerechtigkeit gab bekannt, dass Lehrer in der Stadt Užice gezwungen werden sollten, eine Tür-zu-Tür-Kampagne durchzuführen, um Stimmen für die Fortschrittspartei zu sammeln.

Die SNS missbrauche die Institutionen, "um die Grenzen zwischen sich selbst und dem Staat weiter zu verwischen", konstatiert CRTA. Die Fortschrittspartei liegt derzeit in Umfragen bei knapp 40 Prozent. Ihr langjähriger Regierungspartner, die Sozialistische Partei von Ivica Dačić, bei etwa neun Prozent. Demnach könnten beide Regierungsparteien am Sonntag verlieren. Bei den letzten Wahlen im Frühjahr 2022 bekam die SNS über 44 Prozent, Dačićs Sozialisten fast zwölf Prozent. Deshalb versucht man noch schnell, möglichst viele Serbinnen und Serben zu überzeugen. Weil viele unter der Inflation leiden, verteilt die Regierung an Pensionisten und Sozialhilfeempfänger Geldgeschenke.

Für Aufruhr sorgten auch gefälschte Unterstützungen für Kandidatenlisten. Menschen meldeten sich öffentlich zu Wort, dass nicht nur ihr Name und ihre Daten missbraucht wurden, sondern auch ihre Unterschrift. Investigativjournalisten von "CINS" fanden zudem heraus, dass die SNS etwa 350 Menschen in einem Callcenter in der Nähe des Hafens in Belgrad damit betraute, Bürgerinnen und Bürger telefonisch zu kontaktieren, um sicherzustellen, dass sie das Kreuzerl bei der Vučić-Partei machen. Außerdem werden Personen den "CINS"-Recherchen zufolge aufgefordert, ein Foto von ihrem Stimmzettel zu machen und an eine Kontaktperson zu schicken. Dafür wird ihnen Geld angeboten. Solch eine Form von Stimmenkauf ist in Serbien verboten.

Klima der Gewalt

Im Wahlkampf kam es sogar zur Gewalt gegen Akteure der Zivilgesellschaft. Sie wurden physisch und verbal attackiert. Das Thema Gewalt ist in der serbischen Gesellschaft in diesem Jahr äußerst relevant geworden. Denn im Mai kamen bei zwei Amokläufen 19 Personen ums Leben. Zehntausende Bürgerinnen und Bürger gingen deswegen monatelang auf die Straße und kritisierten die Regierenden, ein Klima der Gewalt zu fördern. Einige Oppositionsparteien haben sich nun deshalb auch für die Wahlen zu dem Bündnis "Serbien gegen Gewalt" zusammengetan. Den Umfragen zufolge könnte das Wahlbündnis etwa 25 Prozent der Stimmen bekommen.

Deutlich besser sieht es für die Opposition in Belgrad aus. Dort könnte das Wahlbündnis den Umfragen von CRTA von Oktober zufolge sogar über 50 Prozent der Stimmen erhalten. Falls Belgrad tatsächlich an die Opposition geht, würde sich der Trend fortsetzen, der bereits in Budapest, Zagreb und Sarajevo zu sehen war. Die urbanen Zentren stimmen demnach gegen die nationalistischen Parteien, die die Regierungen auf Bundesebene bilden.

Insbesondere in Belgrad ist auch die Wut auf die mangelnde Reaktion der Regierung auf die Schussattacke in einer Schule im Mai, der Ärger über die Korruption und die merkwürdigen städtebaulichen Entscheidungen der SNS groß. Allerdings ist fraglich, ob die progressive Opposition "Serbien gegen Gewalt" auch einen Koalitionspartner finden kann. Damit tut sich die Fortschrittspartei wesentlich leichter.

Provinz- und Kommunalwahlen

Gewählt werden am Sonntag nicht nur 250 Vertreter des Parlaments, in dem die SNS bisher 109 Sitze, die Sozialisten 23 und die größte Oppositionspartei "Freiheit und Gerechtigkeit" 15 Sitze innehat. Zusätzlich finden auch Provinzwahlen in der Vojvodina und Kommunalwahlen in 65 Städten und Gemeinden statt. Die Wahlbeteiligung lag in Serbien zuletzt unter 60 Prozent. Bei den Wahlen im Vorjahr gaben etwa 1,6 Millionen Menschen dem Wahlbündnis rund um die Fortschrittspartei ihre Stimme. In Serbien sind etwa 6,5 Millionen Menschen wahlberechtigt. An diesen Zahlen sieht man: Die Macht der Fortschrittspartei ist zweifellos groß, aber viele Serbinnen und Serben haben sich auch komplett von der politischen Beteiligung verabschiedet.

In den vergangenen Jahren ist die Fortschrittspartei immer stärker nach rechts gerückt und wurde immer EU-kritischer. Vučić und Co sehen in Ungarn, Russland und China ihre wichtigsten Verbündeten. Bezeichnend dafür ist, dass jene Politiker im Umfeld des Regimes, die sich für eine prowestliche, demokratische Entwicklung einsetzen, entmachtet werden. So wurde Wirtschaftsminister Rade Basta entlassen, weil er sich für Sanktionen gegen Russland einsetzte.

Gleichzeitig hat Vučić die rechtsextremen Rassisten unter Vojislav Šešelj wieder salonfähig gemacht. Šešelj, ein verurteilter Kriegsverbrecher und Hetzer, ist so etwas wie der politische Vater von Vučić. Gemeinsam waren sie in der Serbischen Radikalen Partei. Nun kündigte diese Partei an, bei den Wahlen zum Belgrader Stadtparlament gemeinsam mit der SNS anzutreten. (Adelheid Wölfl, 17.12.2023)