Insbesondere die FPÖ, derzeit unter Parteiobmann Herbert Kickl, nutzt Polarisierung als politisches Geschäft und verstärkt Verunsicherungen in der Gesellschaft.
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Ob Corona, Klima oder Migration, und erst recht der Krieg im Nahen Osten: Da gehen die Wogen hoch. Die sozialen Medien und die Foren großer Onlineplattformen sind zu einer Art Kampfzone geworden, in der keine Argumente ausgetauscht werden, sondern mit vorgefasster Meinung aufeinander eingedroschen wird. Viele tragen die Unversöhnlichkeit wie ein Gütesiegel vor sich her. Wir sind gefangen in einer Erregungsspirale.

Aber offenbar ist die Gesellschaft gar nicht so polarisiert, wie das viele Menschen wahrnehmen und wie das auch die Medien transportieren. Zwei sehr breit angelegte und nachvollziehbare Untersuchungen kommen jetzt zu einem anderen Schluss: Es gibt keine zunehmende Polarisierung. Bei manchen Konfliktfeldern sind die Fronten gleich geblieben, in anderen Bereichen hat sogar eine Entwicklung zu mehr Einigkeit stattgefunden. In wesentlichen gesellschaftspolitischen Fragen herrscht so etwas wie Harmonie.

Laute Extrempositionen

Das überrascht uns jetzt. Und lässt mehrere Rückschlüsse zu. Wenn es stimmt, dass eine breite Mehrheit sich in vielen Bereichen einig ist und sich zu einem gesellschaftlichen Grundkonsens bekennt, woher kommen dann die schrillen Töne und diese anhaltende Aufgeregtheit, mit der wir konfrontiert sind? Erstens: Eine kleine Gruppe vertritt umso lauter ihre extremen Positionen. Sie lebt von der Aufregung und der Empörung. Indem sie etwa Corona zum Glaubenskrieg macht. Das ist auch ein politisches Geschäft, das insbesondere die FPÖ betreibt. Wo auch immer in der Bevölkerung eine Verunsicherung auszumachen ist, die FPÖ setzt sich drauf und verstärkt sie. Das ist bei der Zuwanderung so, bei der geschlechtergerechten Sprache und natürlich beim Klima.

Laut der Studie herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung die Überzeugung vor, dass Geschlechtergerechtigkeit notwendig ist und dass beim Klima etwas geschehen muss. Der Schritt vom Bekenntnis zur Geschlechtergerechtigkeit hin zu einer geschlechtergerechten Sprache, die das widerspiegelt, fällt dann aber doch recht schwer. Dass wir in eine Klimakrise schlittern, scheint einer breiten Mehrheit bewusst zu sein. Mit den Aktionen der Letzten Generation kann aber kaum jemand etwas anfangen. Die Aktivisten erweisen ihrem Anliegen keinen guten Dienst, wenn sie nicht verstanden werden und sich die Bevölkerung nur provoziert fühlt. Darüber könnten die Aktivisten vielleicht noch eine Runde nachdenken. Sie selbst treiben die Polarisierung voran – und die nutzt immer den Falschen.

Empörungskammer soziale Medien

Der zweite Schluss: Raus aus der Blase! Die sozialen Medien sind eine Empörungskammer, die von geltungssüchtigen Wichtigtuern befüllt wird. Nicht alles, was dort zum Skandal stilisiert wird, ist auch einer. Seien wir gelassener, lassen wir die eine oder andere Aufregung an uns vorüberziehen. Haben wir wieder mehr Mut zur eigenen Meinung – und wenn wir einmal keine haben: auch gut. Man kann abwägen, braucht nicht gleich draufhauen. Nicht jeder, der eine andere Weltanschauung hat, ist automatisch ein "Feind". Wenn wir da ein bisschen vom Tempo runter- und von der Aufregung wegkommen, wird auch die Polarisierung nicht mehr als so bedrohlich wahrgenommen werden. Social Media sind nicht die wirkliche Welt. Es soll sogar Leute geben, die ohne sie auskommen. Fragt die einmal nach ihrer Meinung. (Michael Völker, 17.12.2023)