1987 kreierte William Forsythe
1987 kreierte William Forsythe "In The Middle, Somewhat Elevated".
Ashley Taylor

Das Bestechende am Ballett ist nach wie vor, dass es alle Beteiligten immer wieder neu herausfordert. Aktuell etwa mit seiner unterschwellig mitschwingenden Frage, was der Begriff "zeitgenössisch" in den Künsten bedeutet: an der Wiener Staatsoper bei "Shifting Symmetries", einem neuen dreiteiligen Abend, der vergangenen Samstag bei gut gefülltem Haus vorgestellt wurde.

Zu sehen sind Hans van Manens "Concertante" von 1994, William Forsythes "In the Middle, Somewhat Elevated" (1987) und das "Brahms-Schoenberg Quartet" aus dem Jahr 1966 von George Balanchine. Drei sehr unterschiedliche Werke, die gemeinsam den dramatischen Wandel des Balletts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts andeuten und, vielleicht zufällig, in chronologisch absteigender Reihenfolge präsentiert werden.

Das bei weitem wichtigste Werk des Abends ist "In the Middle, Somewhat Elevated" als deutliches – und wegen eines in die Bühnenmitte gehängten Paars goldener Kirschen ganz schön ironisches – Signal der nie ganz vollzogenen Wende des Balletts in die Postmoderne.

In dieser Konstellation betonen "Concertante" und das "Brahms-Schoenberg Quartet" indirekt die herausragende Position des Forsythe-Stücks: Durch die Vergleichsmöglichkeit lassen sie deutlich werden, wie stark und aufregend seine Neubetrachtung des tänzerischen Körpers und dessen Zeichenhaftigkeit in die Ästhetik des Balletts eingreift.

Freiheit zum künstlerischen Experiment

Van Manen choreografierte zu einer "Petite symphonie concertante" von Frank Martin so gekonnt wie schlicht eine weichgezeichnete Moderne. Und Balanchine hat in seiner einflussreichen Werkgeschichte an tanzstilistischen Stellschrauben gedreht, die nachfolgenden Generationen ab William Forsythe mehr Freiheit zum künstlerischen Experiment gaben.

Balanchines "Brahms-Schoenberg Quartet" hinterlässt, so wie es jetzt in Wien zu sehen ist, einen kitschigen Eindruck. Leidet das Stück bei "Shifting Symmetries" nur unter seinem matten Auftritt vor einem Bühnenbild, das ein naiv stilisiertes Schloss Schönbrunn zeigt? Oder lässt der Blick von heute seine in Tüll und Fräckchen gepackten Tänzerinnen und Tänzer bloß als anachronistisch erscheinen, weil sie in dieser Kuratierung unmittelbar auf die coolen Figuren von "In the Middle, Somewhat Elevated" folgen?

Forsythes Klassiker jedenfalls ist jetzt noch genauso ein Kracher wie damals, bei seiner Uraufführung im Paris der 1980er Jahre. Das Stück wurde dort auf Einladung von Rudolf Nurejew uraufgeführt und die Hauptpartie der unübertroffenen Ballerina Sylvie Guillem auf den Leib choreografiert. Eine Tänzerin, die auch nur annähernd an das Jahrhunderttalent Guillem herankommt, gibt es derzeit nicht. Also tanzt, könnte man schön postmodern sagen, "in der Mitte, etwas hochgezogen" auch eine Lücke mit.

Insgesamt wird in "Shifting Symmetries" überdeutlich, wie sehr Martin Schläpfers Besetzungsstil die Staatsopern-Compagnie geschwächt hat. Andererseits besticht an dem durchaus publikumsnah gestalteten Abend seine Erinnerung daran, dass dem "Zeitgenössischen" die bisher lineare Richtung abhandengekommen ist und dem Ballett eine neue Relevanz zukommt. (Helmut Ploebst, 25.12.2023)