Ältere Supermarktbedienstete
In Zukunft müssen Frauen den Ruhestand hinausschieben. Das verspricht höhere Pensionen – sofern die passenden Jobs parat stehen.
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Österreich ist als Frühpensionsparadies verschrien. Erst unlängst monierte die OECD einmal mehr, dass die Menschen hierzulande besonders jung in den Ruhestand treten. Doch eines steht ebenfalls fest: In der nahen Zukunft wird das tatsächliche Antrittsalter merkbar steigen.

Möglich macht das eine mehr als 30 Jahre alte Entscheidung. Anno 1992 beschloss der Nationalrat unter einer rot-schwarzen Regierung, das gesetzliche Pensionsalter der Frauen auf die für Männer geltenden 65 Jahre anzuheben. Der Verfassungsgerichtshof hatte in der Regelung, wonach Erstere bereits im Alter von 60 in Rente dürfen, einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erkannt.

Mit Beginn 2024 greift nun endlich der Stufenplan zur Angleichung: In Halbjahresschritten wird das Antrittsalter um sechs Monate steigen. Wer zwischen 1. Jänner und 30. Juni 1964 geboren ist, darf somit erst ab dem Alter von 60,5 Jahren in Pension gehen. Für Frauen mit Geburtstag von 1. Juli bis 31. Dezember 1964 gelten bereits 61 Jahre, und so weiter. Alle nach dem 1. Juli 1968 Geborene müssen sich schließlich mit dem Regelpensionsalter von 65 Jahren abfinden.

Zwiespältige Gleichberechtigung

Für Frauen, die ihren Job lieber heute als morgen quittieren wollen, läuft die vom Höchstgericht verfügte Gleichberechtigung also auf einen Nachteil hinaus. Doch dieser wird abgegolten. Denn wer mehr Jahre arbeitet, zahlt auch länger Beiträge in die Sozialversicherung ein – und erwirbt somit den Anspruch auf eine höhere Pension.

Gerade Frauen haben diese bitter nötig. Schließlich bleiben die derzeit ausgezahlten Alterspensionen mit im Schnitt 1327 Euro brutto monatlich um 42 Prozent hinter jenen der Männer (2281 Euro). Zieht man nur die Generation der neu eingetretenen Pensionistinnen heran, dann liegt das Niveau dank nun lückenloserer Berufskarrieren mit 1600 Euro im Monat deutlich höher. Doch die Kluft zu den Männern (2588 Euro) steht mit 38 Prozent auch nach dieser Rechnung weit offen.

Wie stark sich der längere Verbleib im Berufsleben rentiert, hat die Pensionsversicherungsanstalt auf Anfrage des STANDARD berechnet. Dabei ist anzumerken, dass das tatsächliche Antrittsalter der Frauen mit 60,6 Jahren im Schnitt schon jetzt etwas über der gesetzlichen Grenze liegt; viele bleiben der Berufswelt also länger erhalten, als sie müssten. Arbeitet eine Durchschnittsarbeitnehmerin künftig bis 65, winkt eine um 240 Euro höhere Monatspension. Hält sie zumindest bis zum derzeitigen tatsächlichen Antrittsalter der Männer von 63,2 Jahren im Job durch, beläuft sich das Plus auf 140 Euro.

Die potenziellen Vorteile sind damit noch nicht erschöpft. Arbeitgeber klagen darüber, aktuell nicht genügend Fachkräfte zu finden – da sollten den um fünf Jahre Jahre länger arbeitenden Frauen gerade recht kommen. Ähnliches gilt für das unter wachsenden Kosten leidende Pensionssystem: Je mehr Arbeitnehmerinnen einzahlen, desto weniger muss der Staat an Steuergeld zur Finanzierung zuschießen.

Bewusst wegschauen?

Höhere Pensionen für die Frauen, mehr Personal für die Betriebe, sprudelnde Beiträge für die Sozialversicherung – läuft die Angleichung des Pensionsalters ökonomisch gesehen also auf eine Win-win-win-Situation hinaus? Diese Rechnung klammere die Verliererinnen aus, halten Gewerkschafterinnen entgegen. Frauen hätten Schwierigkeiten, in anstrengenden Jobs wie der Pflege oder Reinigung überhaupt bis 60 durchzuhalten, argumentiert ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann. Außerdem müssten sich nicht wenige in dem Alter um gebrechliche Angehörige kümmern: Wie solle das gehen, wenn alle fünf Jahre länger arbeiten sollen?

Auf den Pensionssprung hätten sich weder die Unternehmen ausreichend vorbereitet, die für altersgerechte Arbeitsbedingungen sorgen sollten, noch die letzten Regierungen, so die Kritik. Ein Rechtsanspruch auf Altersteilzeit sei ebenso nötig wie ein Ausbau der Kinderbetreuung und des Pflegeangebots. Doch die Politik schaue "bewusst" weg.

Bestärkt fühlen sich die Arbeitnehmervertreterinnen von einer Studie des Sozialministeriums. Demnach wechselt ein knappes Drittel der Frauen nicht aus einem aufrechten Job in die Alterspension (Stand 2021). Darunter fallen auch jene, die – siehe klassische Hausfrau – prinzipiell aus dem Arbeitsmarkt ausgestiegen sind. Den größten Anteil aber stellen mit 16 Prozent Arbeitslose, bei den Arbeiterinnen ist es beinahe ein Viertel. Diese Quote drohe nun zu steigen, so die Warnung.

Instabilere Junge

Winfried Göschl rechnet mit dem Gegenteil. Die allermeisten Unternehmen würden die Frauen einfach weiterbehalten, prophezeit der Chef des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien, denn das Abservieren älterer und meist teurerer Beschäftigter höre sich abseits kriselnder Branchen immer mehr auf. Indiz: Die Arbeitslosenquote der über 50-Jährigen ist mit 7,2 Prozent so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Die Mentalität der Arbeitgeber habe sich zuletzt gewandelt, beobachtet Göschl. Weil demografisch bedingt zu wenig Nachwuchs nachkomme, hätten diese gar keine andere Wahl, als die Generation 50 plus im Betrieb zu halten. Überdies wachse die Erkenntnis, dass die Älteren weniger "Formschwankungen" zeigten: "Die Jungen sind instabiler, fallen öfter aus und haben andere Ansprüche. Sie fordern Teilzeit, Homeoffice – und anstrengen wollen sich auch nicht mehr alle."

Recht gibt der AMS-Chef aber der Kritik, dass bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen noch Luft nach oben sei. Das reiche von betrieblicher Gesundheitsvorsorge bis zur altersgerechten Organisation – damit eine 60-jährige Pflegerin nicht mehr schwere Patienten aus dem Bett hieven müsse.

Es sei zu befürchten, dass viele Arbeitgeber die Anhebung des Pensionsalters nicht wirklich auf dem Radar hatten, sagt Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) mit Verweis auf Befragungen in ausgewählten Unternehmen. In manchen Branchen landeten deutlich mehr Frauen vor der Pension in der Arbeitslosigkeit als die durchschnittlichen 18 Prozent, und die Konjunkturprognose sei nicht ermutigend: Dass für Arbeit bis in ein höheres Alter tatsächlich auch die Jobs parat stehen, "ist keineswegs ein Automatismus". (Gerald John, 28.12.2023)