Die serbische Premierministerin Ana Brnabić ging nicht nur auf Twitter, sondern auch in der Morgensendung des regierungsnahen Pink-TV-Senders auf zwei österreichische sozialdemokratische Politiker – den EU-Parlamentarier Andreas Schieder und den Bundesrat Stefan Schennach – los. Brnabić warf den beiden Wahlbeobachtern vor, sich angeblich nicht an den Verhaltenskodex gehalten zu haben. Beide hätten zwar keine Unregelmäßigkeiten in ihren Protokollen von ihren Besuchen in Wahllokalen vermerkt, jedoch die Wahlen kritisiert. Außerdem seien sie "Pro-Kosovo" eingestellt.

Ana Brnabić
Ana Brnabić kritisiert die österreichischen Wahlbeobachter Schieder und Schennach.
EPA

Tatsächlich hat die gesamte Wahlbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europaparlaments "den Missbrauch öffentlicher Mittel, die mangelnde Trennung zwischen offiziellen Funktionen und Wahlkampfaktivitäten sowie Einschüchterung und Druck auf Wähler fest(gestellt), darunter auch Fälle von Stimmenkauf".

Auch die Informationsmanipulation und die "Kultur der vorgezogenen Wahlen", "die das Vertrauen der Öffentlichkeit in den demokratischen Prozess und die ihn steuernden Institutionen schmälerte", wurde von Beobachtern thematisiert; und auch die persönliche Diskreditierung von Gegnern. Für besondere Kritik sorgte der Umstand, dass Leute aus dem Nachbarstaat Bosnien-Herzeogwina am Sonntag nach Belgrad gekommen waren, um dort zu wählen, obwohl sie gar nicht in der serbischen Hauptstadt wohnen.

"Voreingenommenheit"

Doch trotz der umfassenden und zahlreichen Kritik pickte sich Brnabić nun Schieder und Schennach heraus und versuchte, die beiden Politiker zu diffamieren. So warf sie ihnen vor, dass sie mit den Medien der United Group", zu der etwa N1 gehört, gesprochen hätten. N1 ist eines der wenigen unabhängigen und kritischen Medien in Serbien. Brnabić kritisierte, dass Schieder sich in Wien mit dem serbischen Oppositionspolitiker Dragan Đilas getroffen hatte – ein völlig normaler Vorgang. Đilas war im Renner-Institut in Wien gewesen. Schieder hatte vor den Wahlen übrigens auch Präsident Aleksandar Vučić in Serbien getroffen, was Brnabić allerdings nicht erwähnte.

"Ich denke, es ist wichtig zu betonen, dass weder Schennach noch Schieder in ihrer politischen Karriere jemals ein einziges nettes Wort über Serbien verloren haben“, unterstellte Brnabić den beiden sowie "Voreingenommenheit" gegen das Land Serbien und gegen Serbinnen und Serben. "Für sie sind die Serben eine völkermörderische Nation", behauptete die Premierministerin ohne jegliche Grundlage.

Die Taktik, Kritikern der Regierung, Rassismus vorzuwerfen, ist alt. Sie wurde bereits in den 1990er-Jahren verwendet, um Kritiker zu diskreditieren. Denen geht und ging es in der Sache nie um das Land Serbien oder Serben und Serbinnen, sondern nur um die serbische Regierung. Das Regime versucht diese beiden Themen jedoch zu vermischen.

Andreas Schieder
Andreas Schieder: "Offenbar werden Vučić und seine Umgebung nervös."
APA/HELMUT FOHRINGER

"Das Regime in Belgrad reagiert auf die massive europäische und internationale Kritik mit Diffamierung und persönlichen Untergriffen", meinte Schieder zu den Attacken von Brnabić. "Das zeigt, dass wir genau ins Schwarze getroffen haben. Offenbar werden Vučić und seine Umgebung nervös", so Schieder zum STANDARD. "Die EU darf bei Verletzung der Rechtsstaatlichkeit nicht wegschauen. Es bedarf einer unabhängigen Untersuchung der Manipulations-Vorwürfe."

Kritik an "DW"

Die österreichischen Politiker waren nicht die Einzigen, die ins Visier genommen wurden. Der "Deutschen Welle" (DW) und der deutschen Politik wurde von regierungsnahen Medien Einmischung in Serbien unterstellt. Der Hintergrund: Nach den Wahlen kam es zu Demonstrationen vor dem Sitz der Wahlkommission in Belgrad. Die Protestierenden forderten eine Annullierung der Lokalwahlen in Belgrad, weil sie Manipulationen vermuteten. Die serbischen regierungsnahen Medien behaupteten in der Folge – so wie dies der Kreml häufig tut –, ein Maidan-Szenario sei vom Ausland in Vorbereitung. Serbien solle angeblich destabilisiert werden.

"Večernje novosti" schrieb, dass Deutschland seine "Finger" bei dem Protest im Spiel habe. "Das Interesse der westlichen Dienste an den Wahlen in Serbien ließ auch nach Schließung der Wahllokale nicht nach, und die Deutschen waren besonders aktiv bei der Belebung der Proteste der prowestlichen Opposition", so die Zeitung. "Nach den Informationen von "Novosti" sind es ihre Geheimdienstagenten, die mit ihren Tentakeln hier die Gewalt anheizen, die vor dem Hauptquartier der Republikanischen Wahlkommission verübt wird, alles unter dem Vorwand eines angeblichen Diebstahls."

Es gehe um "einen hybriden Operations- und Propagandakrieg, um das politische Panorama so neu zu ordnen, dass in Belgrad eine Option an die Macht käme, die die Interessen der westlichen Machtzentren umsetzen würde", so die Zeitung. Das deutsche Medienhaus Deutsche Welle (DW) wies die Vorwürfe zurück, sie seien an den aktuellen regierungsfeindlichen Protesten beteiligt. "Die DW vertritt keinen politischen Standpunkt in Serbien und vertritt daher eine neutrale Position zu den Protesten nach der Wahl", hieß es.

Aleksandar Vučić
Aleksandar Vučić ist wütend über "Einmischung" von außen.
AP/Darko Vojinovic

Wut über "Einmischung"

Vučić kündigte an, dass er einen Brief über die "Einmischung" eines wichtigen EU-Landes in interne Verhältnisse und den Wahlprozess in Serbien "in die ganze Welt" schreiben werde. Vučićs Wut hat vielleicht damit zu tun, dass das deutsche Außenministerium nach der Wahl kundtat, dass Unregelmäßigkeiten wie bei den Wahlen in Serbien für ein EU-Kandidatenland "inakzeptabel" wären.

Die unabhängige Wahlbeobachtungsmission CRTA schrieb indes am Freitag, dass es den begründeten Verdacht gäbe, dass es bei den Wahlen am 17. Dezember zu organisierten Wählerwanderungen in einem derartigen Ausmaß gekommen sei, dass dies den Ausgang entscheidend beeinflusst haben könnte. Gemeint sind damit die "Phantomwähler" in Belgrad, Leute, die zwar in Belgrad wählten, aber gar nicht dort wohnen.

"Durch die Registrierung fiktiver Wohnsitze zum Zwecke der Stimmabgabe bei Kommunalwahlen außerhalb der eigenen Stadt oder Gemeinde werden Gesetze zur Regelung des Wohnsitzes der Bürger verletzt und damit die Grundsätze der Wahlgleichheit und das garantierte Recht der Bürger auf Wahl ihrer kommunalen Selbstverwaltung gefährdet", so CRTA. Man habe nun zahlreiche Foto- und Videoaufnahmen von "organisierten Transporten von Wählern aus anderen Städten".

So seien Wähler aus den serbischen Orten Pančevo, Valjevo, Čačak, Aranđelovac, Smederevo, Vršac, Novi Sad sowie aus dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina und Kroatien organisiert worden. "Es wurden erhebliche Veränderungen im Wählerverzeichnis über einen Zeitraum von einem Jahr festgestellt und Wahllokale in Belgrad identifiziert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Zielorte organisierter Wählermigrationen sind und in denen die Zahl der Stimmen für die Regierungspartei im Vergleich zu früheren Wahlen deutlich gestiegen ist." (Adelheid Wölfl, 22.12.2023)