Die weihnachtliche Stimmung in Kiew ist trügerisch. Im kommenden Jahr droht Finsternis.
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Kurz vor Weihnachten erstrahlen die Geschäfte in den Einkaufsstraßen von Kiew in den buntesten Farben, der prächtige Christbaum vor der zentralen Sophienkirche ist im zweiten Kriegswinter in patriotischem Blau-Gelb geschmückt. Anders als im Vorjahr hält das Stromnetz der ukrainischen Hauptstadt den russischen Drohnen- und Raketenangriffen bisher weitgehend stand. Und zum ersten Mal ist nicht mehr wie in Russland der 7. Jänner offiziell der wichtigste Weihnachtsfeiertag der meist orthodoxen Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern – wie bei uns – der 25. Dezember.

Allerdings: Viel zu feiern gibt es nicht. Dass in Kiews Straßen überhaupt so etwas wie Weihnachtsstimmung aufkommt, ist den Raketenabwehrsystemen zu verdanken, die der Westen heuer geliefert hat. Die Gegenoffensive der ukrainischen Armee, die dem russischen Aggressor den entscheidenden Schlag hätte versetzen sollen, ist weitgehend verpufft. Tausende sind an der eingefrorenen Front gestorben, Mütter, Väter, Witwen und Kinder trauern um sie. Und noch immer fordern Luftangriffe viel zu viele Opfer in der Zivilbevölkerung. Weil es mittlerweile nicht nur an Waffen, sondern auch an Soldaten mangelt, wollen die ukrainischen Behörden nun zudem auch jene einziehen, die vor dem Krieg ins Ausland geflüchtet sind. So herrscht in der Ukraine zu Weihnachten 2023 vielerorts Verzweiflung statt Besinnlichkeit.

Die zunehmende Kriegsmüdigkeit ausgerechnet im sicheren Westen ist es aber, die Kiews Strategen besonders sorgenvoll ins neue Jahr blicken lässt. Bleiben die Waffen- und Finanzhilfen aus – etwa weil in den USA Donald Trump wieder an die Macht kommt und auch in Europa auf Kiews Kosten weiter politisches Kleingeld gewechselt wird –, könnte auf den weihnachtlichen Glanz schon bald bleierne Finsternis folgen. (Florian Niederndorfer, 22.12.2023)