Kerzen und Blumen bei der Philosophischen Fakultät der Prager Karlsuniversität, dem Schauplatz des Amoklaufs vom 21. Dezember vergangenen Jahres.
Kerzen und Blumen bei der Philosophischen Fakultät der Prager Karlsuniversität, dem Schauplatz des Amoklaufs vom 21. Dezember vergangenen Jahres.
DER STANDARD/Schubert

Mehr als zwei Wochen sind vergangen, seitdem die vorweihnachtliche Stimmung in Tschechiens Hauptstadt Prag ein abruptes und blutiges Ende fand: An der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität hatte am 21. Dezember ein Student 14 Menschen erschossen, 25 weitere verletzt und sich dann das Leben genommen. Vor der Fakultät und vor dem Hauptgebäude der Uni erinnerten vorige Woche noch zahllose Kerzen an die Opfer – wie Symbole dafür, dass die Gesellschaft mit der Aufarbeitung des Massakers erst am Anfang steht.

Dass der Amoklauf immer noch einen Schatten auf das Land wirft, bestätigt auch der 19-jährige Student Matouš: "Wenn man sich mit Freunden oder mit der Familie trifft, kommt das Gespräch einfach immer wieder darauf zurück." Matouš steht vor den Toren seiner Uni und blickt auf das Meer aus Kerzen. Er selbst studiert an der Juristischen Fakultät. Auch dort seien die Sicherheitsvorkehrungen nun verstärkt worden, derzeit etwa dürfe man nur mit Studentenausweis ins Gebäude, sagt Matouš.

Dass dies einen Amoklauf kaum verhindern würde, ist allen klar. Doch man will die Übersicht nicht verlieren, zumal das Haus nun auch Anlaufstelle für die Studierenden der Philosophischen Fakultät geworden ist: Ihre persönlichen Sachen wurden am evakuierten Tatort eingesammelt und können bei den Juristen, keine 300 Meter Moldau-abwärts, abgeholt werden.

"Elite des Progressivismus"

Versuche, die Tragödie politisch zu instrumentalisieren, sind für Matouš "das Letzte". So hatte etwa Jiří Kobza, Abgeordneter der oppositionellen Rechts-außen-Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD), nach dem Massaker auf Facebook für Aufsehen gesorgt: Den Täter, der selbst an der Philosophischen Fakultät studiert hatte, bezeichnete Kobza in einem Posting, das er später löschte, als "Spitzenprodukt des inklusiven Unterrichtswesens".

Die Fakultät sei eine "Basis der Elite des Progressivismus" und bekannt dafür, dass sie "jeder Verrücktheit der EU" hinterherlaufe. Besonders "tragikomisch" sei der "Protest der Philosophen gegen die klimatischen Zyklen des Planeten". Nun würden laut Kobza "Studenten und Absolventen dieser seltsamen Institution" eine Einschränkung des Waffenrechts für jene fordern, die mit der Tragödie gar nichts zu tun hätten. Dabei stelle sich doch vielmehr die Frage: "Was wird an der Philosophischen Fakultät eigentlich unterrichtet? Welches Indoktrinierungsprogramm des Hasses läuft dort? Und welche Rolle spielen dabei Non-Profit-Organisationen?"

Ein Meer aus Kerzen vor dem Hauptgebäude der Prager Karlsuniversität
Auch vor dem Hauptgebäude der Uni erinnerte bis Freitag ein Meer aus Kerzen an die 14 Menschen, die wenige Tage vor Weihnachten bei einem Amoklauf an der Philosophischen Fakultät erschossen worden waren.
DER STANDARD/Schubert

Die tschechische Rektorenkonferenz bezeichnete die Stellungnahme via Presseaussendung als "schockierend". Sie überschreite "die Grenzen des Anstandes, der Moral und der Menschlichkeit". Innenminister Vít Rakušan sprach von einer "Ungeheuerlichkeit" und forderte, die "Tragödie nicht zu missbrauchen".

Eine Novellierung des Waffenrechts, bei dem Selbstschutz als Begründung für einen Waffenschein ausreicht, ist derzeit tatsächlich auf dem Weg. Die geplante Verschärfung ist allerdings keine Konsequenz aus dem Amoklauf, sondern lag bereits zuvor im Parlament. Sie sieht unter anderem besseren Informationsfluss zwischen medizinischen Einrichtungen und Polizei vor – etwa um Klarheit zu haben, ob Menschen, die sich in psychiatrischer Behandlung befinden, Waffen besitzen. Die Behörden sollen Waffen auch einziehen dürfen, etwa wenn die Besitzer durch aggressive Kommentare im Internet auffallen oder Kontakte zu Extremisten pflegen.

Klar, dass derlei Maßnahmen gut abgestimmt werden müssen, etwa mit der ärztlichen Schweigepflicht. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob sie das Massaker hätten verhindern können: Der 24-jährige Täter, der seine Waffen legal besessen hatte, galt als unbeschriebenes Blatt. Ermittlern zufolge hat er kurz vor dem Amoklauf seinen Vater erschossen. Auch die Morde an einem Mann und dessen zwei Monate alter Tochter am Stadtrand von Prag eine Woche davor gehen laut einem Abschiedsbrief und einem ballistischen Gutachten auf sein Konto.

Sozialminister unter Druck

Inzwischen gerät Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka im Zusammenhang mit den Ereignissen des 21. Dezember in Bedrängnis. Ihm wird vorgeworfen, eine Weihnachtsfeier in seinem Ministerium, die an diesem Tag stattfand, nicht vorzeitig abgebrochen zu haben. Jurečka, der auch Chef der christdemokratischen Partei (KDU-ČSL) ist, hat sich inzwischen dafür entschuldigt. Er habe die Situation falsch eingeschätzt und denke darüber nach, seinen Rücktritt anzubieten. Premierminister Petr Fiala von den konservativen Bürgerdemokraten (ODS) wollte zunächst weitere Erklärungen Jurečkas abwarten.

Nach einer Trauerfeier am Donnerstag haben junge Freiwillige am Freitag die Kerzen vor dem Hauptgebäude der Uni schweigend eingesammelt. Mit Beteiligung von Studierenden der Akademie für Kunst, Architektur und Design soll daraus ein Kunstwerk entstehen, das dauerhaft an die Opfer erinnert. (Gerald Schubert aus Prag, 8.1.2024)