Selbsternannter Volkskanzler: Herbert Kickl im Vorjahr bei einer Parteiveranstaltung in Linz.
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Wie einst für den Nazi ist heute für den Neonazi die völkische Ordnung das Allerwichtigste. Wie leicht kann da ein Durcheinander entstehen! Daher auch die sorgfältige Einteilung von Menschen in Volljuden, Halbjuden und Mischlinge diverser Grade. Das Schema bleibt beliebt, daher hat der identitäre Österreicher Martin Sellner bei einem privaten Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam für einen zeitgemäßen und einseitigen Bevölkerungsaustausch in einen afrikanischen "Musterstaat" – auf Uganda will man sich nicht kaprizieren – eine Sortierung in Asylwerber, in Ausländer mit Bleiberecht und in "nicht assimilierte Staatsbürger" vorgeschlagen. Inländer, die sich für Geflüchtete einsetzen, dürfen mit.

Dass sich die hier waltende Kreativität über Jahrzehnte des gesetzlich vorgeschriebenen Kampfes gegen nationalsozialistisches Gedankengut retten konnte, enthüllt die Halbherzigkeit, mit der er betrieben, und die Hartnäckigkeit, mit der er hintertrieben wurde und wird. Die gegenwärtigen Verhältnisse in Österreich lassen nicht darauf schließen, dass sich daran, von antifaschistischen Wortspenden abgesehen, viel ändern wird. Wäre es anders, dürfte sich ein selbsternannter Volkskanzler kaum als Schutzherr der Identitären produzieren, indem er sie in den Rang von respektablen, von völlig konträren Zielen geleiteten NGOs erhebt. Mittwochabend versuchte Herbert Kickl im Fernsehen etwas von seinem Ruf zu retten, indem er sich darauf berief, an der Veranstaltung nicht teilgenommen zu haben. Wenn es gar zu peinlich wird, soll die physische Absenz die mentale Präsenz verschleiern, aber ohne dass man dabei noch größeren Wert auf Glaubwürdigkeit legt.

Politischer Terrorismus

Die Unvermeidlichkeit, in der Kickl seine Kanzlerschaft schon vor den Wahlen propagiert, ist eine altbekannte Form von politischem Terrorismus, die vor allem der Einschüchterung von Wählerinnen und Wählern sowie der Lähmung der politischen Gegner dienen soll. Seine Helfershelfer hatte er dabei allerdings in Medien, die ihn seit Monaten aufgrund von Meinungsumfragen zu dieser Unvermeidlichkeit erst erhoben, ohne dass es dafür eine größere Gewähr gab als eine Volkspartei, die es trotz aller Erfahrungen noch einmal mit ihm versuchen könnte, nur um nicht mit dem roten G’sindl regieren zu müssen.

Dazu müsste sie freilich aus den Wahlen so stark hervorgehen, dass sie zusammen mit den Freiheitlichen eine Mehrheit zustande bringt, was, wie es derzeit aussieht, nicht unbedingt der Fall sein muss. Alle anderen Parteien lehnen eine Koalition mit der Freiheitlichen Partei ab, Teile der ÖVP sehen nur in der Person Kickls ein Hindernis. Ob sich für sie eine Koalition mit der FPÖ aber längerfristig lohnt, wenn sie Kickl das Kanzleramt überlassen muss – und darauf kann ein Volkskanzler nicht verzichten –, kann sie aufgrund früherer Erfahrungen beurteilen.

Als Architekt blauer Erfolge hat Kickl einige Mitarchitekten, denen er mehr verdankt als eigenen Ideen. Die ÖVP der Kurz-Jahre mit deren krachendem Ende im Benko-Skandal und eine SPÖ, die ihren Parteiobmann eher als einen Hiob erscheinen lässt, den sie lieber mit internen Schicksalsschlägen traktiert, denn als starke Zukunftshoffnung aufbaut, haben ihren nicht zu kleinen Anteil an Kickls Vorwahlerfolg. Man muss ihn nicht überschätzen. (Günter Traxler, 11.1.2024)