Jarosław Kaczyński
PiS-Chef Jarosław Kaczyński hat die Wahlniederlage seiner Partei nicht wirklich verkraftet.
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Polen kommt einfach nicht zur Ruhe. Und der nationalkonservativen Opposition ist das auch ganz recht so. Acht Jahre lang war die Partei von Jarosław Kaczyński, die sich Recht und Gerechtigkeit (PiS) nennt, durchgehend an der Macht. Während dieser Zeit hat sie weite Teile der Justiz unter ihre Kontrolle gebracht und die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien umdefiniert: Nicht der gesellschaftlichen Vielfalt sollten sie dienen, sondern den Interessen der PiS.

Es ist der klassische Kurzschluss im Demokratieverständnis: Wir haben die Wahl gewonnen, also regieren wir, also bestimmen wir, also diskutieren wir nicht mehr. Besonnener Umgang mit der Macht im Interesse des Staatsganzen? Fehlanzeige. Wer Regierungsverantwortung so definiert, leitet aus einem Wahlsieg das vermeintlich demokratische Recht auf alles und jedes ab. Und wenn Justiz oder kritische Medien nicht mitspielen, dann werden sie eben verbogen, bis sie sich fügen oder zumindest nicht mehr allzu sehr stören.

Dass nun ausgerechnet die abgewählte PiS der liberalen Regierung von Donald Tusk Missachtung der Demokratie vorwirft, war zu erwarten. Dessen Versuche, Justiz und öffentlich-rechtliche Medien zu entpolitisieren, sind kompliziert genug – gerade deshalb, weil er darauf achten muss, nicht dieselben Fehler zu begehen wie seine Vorgänger. Doch der PiS, die sich in ihr Freund-Feind-Schema verstrickt hat, reicht es nicht aus, auf Fehltritte ihres Kontrahenten auf dem von ihr hinterlassenen Minenfeld zu warten. Bis vor kurzem spielte sie totale Regierung, jetzt spielt sie eben totale Opposition.

Dass sie sich nun hinter zwei PiS-Politiker stellt, die wegen Amtsmissbrauchs verurteilt wurden, ist der jüngste Beleg dafür: Kaczyński nennt den am Dienstag verhafteten ehemaligen Innenminister und dessen früheren Stellvertreter "politische Gefangene". Für den PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda sind die beiden "kristallklar ehrliche Menschen". Er will sie erneut begnadigen, nachdem das Oberste Gericht eine Begnadigung aus dem Jahr 2015 für rechtswidrig erklärt hatte. Und auf die PiS-Demo vom Donnerstag gab schon die Kundgebung am Abend der Verhaftung einen Vorgeschmack: Dort wurde "Solidarität" mit den Verurteilten gefordert. Und zwar mit dem Schriftzug der gleichnamigen Gewerkschaft, die einst gegen die kommunistische Diktatur aufstand – und in der auch Tusk aktiv war.

Mit all dem verhindert die PiS einen vernünftigen Diskurs. Mit ihrer Selbstbegrenzung auf das Freund-Feind-Schema macht sie sich auch für berechtigte Regierungskritik unglaubwürdig – und schadet damit weiter sich selbst und dem Land. (Gerald Schubert, 11.1.2024)