Groß wäre diese Koalition längst nicht mehr, und sonderlich sexy auch nicht. Aber angesichts der Bedrohung von rechts gewinnt die große Koalition, einst das Synonym für die Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP, wieder deutlich an Attraktivität.

In der Erinnerung verbindet man mit Rot-Schwarz vor allem die unendlichen Reibereien, denen sich Vertreter von SPÖ und ÖVP in ehrlich gemeinter Abneigung hingegeben haben, und den Stillstand, in dem diese Koalitionsform geendet ist. Aber die Situation ist ernst. Herbert Kickl und den freiheitlichen Allmachtsfantasien, in denen Massendeportationen offenbar ebenso Platz finden wie ein Zerlegen des Rechtsstaats oder ein Außerkraftsetzen menschenrechtlicher Standards, muss ein anderes Modell entgegengestellt werden.

Herbert Kickl oder doch lieber die anderen? Eine Koalition aus SPÖ und ÖVP könnte eine Möglichkeit sein.
Collage: derStandard/Friesenbichler Fotos: APA (2), Imago (2)

Ob Vermögenssteuern Bedingung oder Ausschlussgrund sind, kann nicht das Thema sein, wenn es darum geht, ob Österreich aus der EU herausgeführt und zu einer illiberalen Pseudodemokratie umgebaut wird. Bei allen Mankos, die man SPÖ und ÖVP nachsagen kann: Es sind letztlich staatstragende und verantwortungsbewusste Parteien, die um die Bedeutung der Republik und ihrer Errungenschaften Bescheid wissen, die gegen faschistische Tendenzen auftreten und einen Herrscherstaat mit Herrenmenschenideologie klar ablehnen.

Aus dieser Verantwortung heraus wird es notwendig sein, Abstriche bei inhaltlichen Vorstellungen zu machen und konstruktiv an einem gemeinsamen Gerüst zu arbeiten. Da haben persönliche Befindlichkeiten nichts verloren. Hier geht es um etwas anderes, etwas Größeres.

Was die derzeitige türkis-grüne Koalition versäumt hat, muss eine allfällige neue Koalition von SPÖ und ÖVP schleunigst nachholen: die Republik dagegen wappnen, dass tatsächlich einmal einer, der sich als Volkskanzler bezeichnet, ans Ruder kommt und die entscheidenden Stellen im Staat mit seinen volkstreuen Kumpanen besetzt. Die Justiz muss stark und unanfechtbar gemacht werden, unabhängig von Machtgelüsten allfälliger Volkstribune. Die Staatsanwaltschaften und der Verfassungsgerichtshof müssen dem Zugriff der Politik entzogen werden: Gebraucht wird eine Weisungskette, die nicht bei einem Parteipolitiker endet, und die Besetzung des Höchstgerichts muss nach objektiven Kriterien frei von parteipolitischer Einflussnahme erfolgen können.

Auch die Medien müssen gestärkt werden. Dass die Medienförderung nach Lust und Laune der Regierenden verteilt wird, ist ein unerträglicher Zustand; dass ausgerechnet diese schwarz-grüne Regierung die Journalistenausbildung dem Kanzleramt unterstellt hat, ein demokratiepolitischer Irrsinn. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie ein freiheitlicher Kanzler auf dieses Instrumentarium zugreifen würde. Da gibt es noch viel Handlungsbedarf, wie man die Republik besser aufstellen könnte, damit sie nicht im Fall des Falles vor einem Volkskanzler Kickl in die Knie gehen muss.

Und wenn sich SPÖ und ÖVP nicht zu einer vernünftigen Mehrheit ausgeht? Dann sollen sie jemand Dritten an Bord holen, Grüne oder Neos. Das kann einen spannenden und kreativen Ansatz in der Politik ergeben, wenn drei bewegte und vernünftige Parteien ihre besten Zugänge einbringen. Alles besser, als aus Opportunismus und Machtkalkül Kickl den Steigbügelhalter zu machen. (Michael Völker, 13.1.2024)