Überzeugte die Menge beim Neujahrstreffen der FPÖ: Parteichef Herbert Kickl.
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Herbert Kickl steht schon fast zehn Minuten auf der Bühne, als er ansetzt, um seine strategisch wichtigste Botschaft unters Volk zu bringen. Er fordere "alle anderen auf", ruft der FPÖ-Chef in die Mikrofone am Pult, "doch gemeinsam anzutreten". ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos würden zusammen die "Liste Volksverrat" bilden, um ihn, Kickl, als "Volkskanzler" zu verhindern. Die Menge johlt. Beim blauen Neujahrstreffen 2024 sind alle überzeugt, dass Kickl nicht mehr zu stoppen ist.

Und wahrscheinlich haben seine Fans damit recht.

Weit verbreiteter Propagandabegriff

Jeder, der am Samstag die blaue Eventhalle nahe Graz betrat, bekam einen Button mit einem gezeichneten Bild von Kickl und der Aufschrift "Volkskanzler" angepinnt. Als "unser künftiger Volkskanzler" wurde Kickl von der Moderatorin auf die Bühne geholt. Doch auch außerhalb der freiheitlichen Blase kehrt das Wort gerade in den aktiven Sprachschatz politischer Diskussionen zurück. Vermutlich ist es der sich am besten verbreitende österreichische Propagandabegriff seit langer Zeit.

Zurück geht das Wort natürlich auf die Nationalsozialisten. Im Duden des Jahres 1941 steht bei "Volkskanzler" zu lesen: "Bezeichnung für Hitler zum Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer". Die Empörung darüber, wo Kickl hier Anleihe nimmt, war überraschend leise. Er kann offenbar kaum noch ernsthaft provozieren. Man hat sich längst daran gewöhnt. Viel wichtiger ist es aber ohnehin, darüber nachzudenken, was Kickl mit der Verbreitung des Begriffs bezweckt.

Denn das "Volkskanzler"-Gerede ist politstrategisch betrachtet nicht mehr als der Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit in der FPÖ: Selbst wenn Kickl die Wahl gewinnt, steht er vor dem Problem, dass die Spitzenpolitiker aller anderen Parteien ausschließen, mit ihm eine Koalition zu bilden. Und auch wenn sich das nach der Wahl ändern sollte, kommt hinzu, dass ihn der Bundespräsident vermutlich nicht anzugeloben gedenkt. Das bedeutet: So gut es für die FPÖ läuft, es erscheint ziemlich schwierig, dass Kickl Bundeskanzler wird.

Kanzler des "Volks"

Was er deshalb nun macht: Kickl baut vor. Indem er sich eben zum "Volkskanzler" ernennt. Ein Bundeskanzler braucht eine parlamentarische Mehrheit hinter sich, die ihn stützt. "Volkskanzler" hingegen – und darauf wird das hinauslaufen – kann sich Kickl auch nennen, wenn er die Wahl gewinnt, doch in der Opposition verharrt.

Was die FPÖ hier macht, erinnert etwas an die Strategie Donald Trumps im US-Wahlkampf 2020. Der hat damals schon im Vorfeld die Verschwörungserzählung etabliert, dass die Wahl gefälscht sein wird, sollte er selbst sie verlieren. Kickl hingegen will eben jedenfalls Kanzler sein – wenn nicht jener der Republik, eben jener "des Volks".

Seine FPÖ wird die kommende Nationalratswahl vermutlich gewinnen. Zumindest die Umfragen führen die Freiheitlichen seit mehr als einem Jahr an – und zwar jede einzelne. Bis heute zeichnet sich nicht ab, dass ihm ein politischer Gegner in die Quere kommt.

Österreichs Demokratie wird das aushalten. Zumindest fürs Erste. Das Land kann nur mit politischen Mehrheiten verändert werden. Die müsste Kickl erst finden. Den anderen Parteien würde deshalb etwas mehr Gelassenheit stehen. Sie haben noch einiges mitzureden. Einen "Volkskanzler", den gibt es nicht. (Katharina Mittelstaedt, 14.1.2024)