Männer tun sich beim Lesen von Wanderkarten im Normalfall tatsächlich etwas leichter als Frauen. Nun konnte eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied zwischen den Geschlechtern ausgeschlossen werden.
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In den Nullerjahren war die Frage ein beliebtes Thema in Beziehungsratgebern und Diskussionen über Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Haben Männer tatsächlich einen besseren Orientierungssinn? Und wenn ja, warum?

Populär wurde die These durch einen Weltbestseller, der im Titel mit der These aufwartete, dass Frauen angeblich schlechter einparken können. (Das englische Original kam der Sache übrigens näher: Da können die Frauen schlechter Karten lesen.) Begründet wurde das mit Erkenntnissen der Hirnforschung und der Evolutionsbiologie, auch wenn das erfolgreiche Autorenduo, das australische Ehepaar Allen und Barbara Pease, wenig Expertise in Wissenschaft, sondern eher in Kommunikationstraining hatte.

Dennoch hält sich nicht nur die Behauptung, sondern auch die empirische Evidenz: Frauen schneiden bei einschlägigen Tests oder Experimenten zum Orientierungsvermögen im Schnitt nach wie vor etwas schlechter ab als Männer: Diese können sich Wege meist besser merken und finden sich mit Landkarten leichter zurecht. Auswertungen des Online-Navigationsspiels "Sea Hero Quest" nach Geschlecht bestätigten diese Ergebnisse.

Unterschiede auch bei Tieren

Der Orientierungssinn liefert mithin den am besten dokumentierten Geschlechtsunterschied bei den geistigen Fähigkeiten. Ähnliche Unterschiede wurden auch bei einigen Tierarten festgestellt, etwa bei Großen Pandas. Daraus leiteten Forschende eine evolutionsbiologische Vermutung ab: Die Unterschiede beim Orientierungssinn könnten sich als adaptive Reaktion auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Größe des jeweiligen Lebensraums entwickelt haben. Anders formuliert und auf den Menschen umgelegt: Männer haben in prähistorischen Zeiten typischerweise große Entfernungen zurückgelegt, um zu jagen, während Frauen oft näher bei Wohn- und Schlafstätte blieben. Dies könnte zu einem Selektionsdruck auf Männer geführt haben, bessere Navigationsfähigkeiten zu entwickeln.

Doch hält diese These einer empirischen Überprüfung stand? Genau das hat ein Team um den Psychologen Justin Rhodes (University of Illinois Urbana-Champaign) nun zu klären versucht. Die Forschenden trugen Daten von 21 Tierarten (darunter auch Menschen) zusammen, die Informationen über ihren Orientierungssinn und zudem darüber enthielten, wie weit sie sich im Durchschnitt von ihrem "Hauptwohnsitz" entfernen. Wenn evolutionäre Anpassung im Spiel wäre, würde man erwarten, dass jenes Geschlecht, das sich weiter entfernt, ein besseres Orientierungsvermögen hat.

Eindeutig widerlegte Annahme

Doch diese Hypothese wurde ziemlich eindeutig widerlegt, wie die Forschenden Mittwoch im Fachblatt "Royal Society Open Science" berichteten: Bei allen Arten verfügten die Männchen über einen etwas besseren Orientierungssinn als die Weibchen – und das auch bei jenen Arten, bei denen die Weibchen einen größeren Lebensraum haben. Bleiben zwei Erklärungen. Zum einen könnten die Differenzen im Orientierungssinn eine eher zufällige Begleiterscheinung der biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sein: „Hormonelle Unterschiede können sich beispielsweise auf alle möglichen Eigenschaften und eben auch den Orientierungssinn auswirken", sagt Rhodes. Solange diese Merkmale die Fortpflanzung nicht behindern, sei das der Evolution egal.

Beim Menschen scheint freilich die Erziehung beziehungsweise die Kultur eine entscheidende Rolle zu spielen. In einer früheren Studie zum räumlichen Orientierungssinn, an der Männer und Frauen teilnahmen, die ähnlich aufgewachsen waren, gab es keine Unterschiede in diesen Fähigkeiten. Und auch Detailauswertungen der globalen Daten zu "Sea Hero Quest" bestätigten diese kulturelle Erklärung: In jenen Ländern, in denen die Gleichstellung von Frauen und Männern besonders weit ist – also etwa in Skandinavien – gibt es auch keine Unterschiede in ihrem Orientierungssinn. (Klaus Taschwer, 18.1.2024)