Brut-Theater
Hier geht es um Infrastrukturen, allerdings um immaterielle:„Weaving Infrastructures” thematisiert Verhältnisse und Beziehungen zwischen den Individuen.
Christine Miess

Der letzte Satz im Ankündigungstext für Sara Lanners Tanztrio Weaving Infrastructures ist eine Frage, die nett klingt, aber schaudern lässt: "Wie erreichen wir eine bislang nur erträumte heile Welt?" Da kommen einem gleich die Heimatfilme der 1950er in den Sinn. Glücklicherweise ist dieses Stück, dessen Uraufführungsreihe jetzt im Brut-Theater gezeigt wird, besser als seine Absichtserklärung. Auch der Titel, der auf Deutsch "Infrastrukturen weben" bedeutet, wird von den drei charismatischen Tänzerinnen auf der Bühne souverän umgesetzt.

"Infrastruktur" ist hier offenbar im Sinn von "Unterbau" gemeint, denn die Tänzerinnen navigieren in den emotionalen Geweben unter den hochverdichteten technischen Netzwerken, mit denen sich die Menschheit seit der industriellen Revolution ihre Zivilisiertheit vorgaukelt. Andrea Gunnlaugsdóttir, Hyeiji Nam und die Choreografin selbst beginnen ihre Reise außerhalb der an einer ihrer Breitseiten geöffneten Bühnen-Black-Box. Mit einem synchronen Tanz in Dreiecksformation bewegen sie sich von außen nach innen hin zum Publikum. Sie variieren ihre Bewegungsmuster, passen sich erst der Musik von Peter Plos an, um dann emanzipiert von ihr abzuweichen.

Das immaterielle Gut

Der gesprochene Text unterstreicht das: "I am the one who is really free flying in the space." Zahlen, Ereignisse und das eine oder andere Datum – etwa jenes des ersten je ins All geschossenen Satelliten – werden aneinandergereiht, die Omnipräsenz von technischen Infrastrukturen bloß angedeutet.

Die hier relevanten Infrastrukturen sind immateriell: Verhältnisse und Beziehungen zwischen Individuen. Genau diese werden zum Stoff von Reflexionen, Träumen, Ansagen und symbolischen Handlungen. Dabei wenden sich drei starke Persönlichkeiten einander zu, treten gegeneinander an, nehmen voneinander Abstand. Aus zwei Installationen pflücken sie weiße Tafeln und brechen deren Zweidimensionalität mit knackendem Knicken auf. In einer zentralen Szene scheinen sie zu sprechen oder zu singen, ihre Körper und Mienen geraten in expressiven Aufruhr – allein: kein Ton kommt über ihre Lippen.

Und am Ende kommt, das ist jetzt beinahe ein Spoiler, etwas, das sich – wieder außerhalb der Black Box – zu einem Monument der Infantilität unserer postmodernen Technik-Dystopie auswächst.

Auch so "aufgeblasen" kann eine Kontrollgesellschaft à la Michel Foucault und Gilles Deleuze dargestellt werden. Das fabelhafte Trio operiert dort, wo offensichtlich werden kann, dass die technischen Revolutionen bloß Kompensationen für die gescheiterte Weiterentwicklung des Sozialen sind. (Helmut Ploebst, 22.1.2024)

Bis 23. 1.