Ein Wahlplakat einer pro-serbischen und pro-russischen Koalition neben einer serbisch-orthodoxen Kirche in Podgorica
Ein Wahlplakat einer proserbischen und prorussischen Koalition neben einer serbisch-orthodoxen Kirche in Podgorica. Die Verbindungen sind eng.
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Der Prozess verläuft schrittweise, gut organisiert und ist über die vergangenen Jahre im größeren Rückblick gut dokumentierbar: Sowohl der Nachbarstaat Serbien als auch Russland versuchen, vermehrt Einfluss in Montenegro zu nehmen. Und dies gelingt ihnen auch gut. Eines ihrer besten Instrumente ist dabei die serbisch-orthodoxe Kirche.

Nach 2017, als Montenegro als klares Zeichen einer prowestlichen Orientierung der Nato beitrat, wurden die Gegenmaßnahmen der antiwestlichen Kräften immer stärker spürbar. Während der Covid-Pandemie mobilisierte die serbisch-orthodoxe Kirche Zehntausende gegen ein Religionsgesetz, das vorsah, dass religiöse Objekte und Grundstücke, die mit staatlichen Geldern errichtet worden waren oder bis zur Eingliederung des Königreichs Montenegro in das jugoslawische Königreich im Jahr 1918 diesem Staat gehört hatten, wieder Eigentum des heutigen Staates Montenegro werden sollten.

Vučićs Einfluss

Durch Propaganda und auch durch Lügen gelang es der Bewegung, Rechtsfragen um Eigentum als einen Kampf sozial Benachteiligter für Menschenrechte und einen Machtwechsel darzustellen und die prowestliche Regierung zu stürzen. Dann kamen Politiker wie Dritan Abazović an die Macht, die unter dem Einfluss des Regimes des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić stehen.

In Serbien haben viele Nationalisten die Unabhängigkeit des multikonfessionellen und multinationalen kleinen Montenegro im Jahr 2006 nie akzeptiert. Sie arbeiten nun wieder verstärkt daran, den Einfluss des serbischen Regimes auf die Nachbarstaaten Montenegro, Bosnien und Herzegowina und Kosovo zu verstärken. Beim Projekt "Serbische Welt" geht es nicht unbedingt um Grenzänderungen, sondern um das Unterhöhlen der Souveränität der Nachbarn.

Kirche soll Nation dienen

Die serbische Orthodoxie wird ähnlich wie in den 1990er-Jahren dabei zur Protagonistin eines völkischen Nationalismus, der mit Mythen verbrämt quasireligiöse Züge annimmt. Bereits seit dem 19. Jahrhundert ist diese religiös-nationalistische Identitätspolitik bekannt, sie wird Phyletismus genannt. Die Idee einer Nation steht dabei über jener des Glaubens, die Kirche ist in erster Linie dazu da, einer bestimmten Nation zu dienen. Dies läuft natürlich der Säkularisation zuwider.

Einer, der dies kritisiert, ist der montenegrinische Historiker Boban Batrićević. In einer Kolumne für das Medium "Antena M" schrieb er im August vergangenen Jahres: "Die Priester der serbischen Kirche in Montenegro predigen nicht den Glauben Christi. Sie reden über serbischen Nationalismus. Sie indoktrinieren. Sie verbreiten Hass und Fremdenfeindlichkeit." Deshalb seien sie keine Priester und Mönche, sondern Prediger des Hasses, so Batrićević.

Der Autor zitierte in der Kolumne den Metropoliten Joanikije II. Mićović, der sich positiv über den Tschetnik-Führer im Zweiten Weltkrieg, Draža Mihailović, geäußert hatte, oder Bischof Metodije Ostojić, der gesagt hatte: "Russland ist Hoffnung für die gesamte freiheitsliebende Welt. (...) Im heiligen Russland gibt es Hoffnung auf die Erlösung nicht nur der orthodoxen Völker, sondern ganz Europas und der Welt."

Beeinflusste Justiz

Batrićević wurde in der Folge angezeigt und sogar angeklagt. Diese Anklage, die im Widerspruch zur Meinungsfreiheit steht, wäre noch vor ein paar Jahren in Montenegro undenkbar gewesen. Doch heute steht ganz offensichtlich auch schon die Justiz unter dem Einfluss der neuen regierenden Clique. Es handelt sich um eine Wiederholung. Die Rolle des "politischen Christentums" auf dem Balkan ist seit Jahrzehnten ein breit erörtertes Thema der Wissenschaft.

"Die russische Orthodoxie nimmt eine ähnliche ethnonationalistische Position ein wie die serbische orthodoxe Kirche beim Zerfall Jugoslawiens und noch in der Gegenwart. Mit den Grundsätzen des Christentums hat dies kaum noch etwas zu tun, vielmehr sind die russische orthodoxe Kirche und die serbische orthodoxe Kirche Institutionen, die autoritären Regimen ideologische Legitimität verleihen und einen ideologischen Überbau bereitstellen, der auf einem antiwestlichen und antidemokratischen Ethnonationalismus beruht", meint etwa der renommierte Osteuropa-Historiker Oliver Jens Schmitt, der an der Universität Wien lehrt.

Doch in Montenegro landet man mittlerweile vor dem Kadi, wenn man das offen ausspricht. "Es wird nicht die Ethik des Neuen Testaments gepredigt, sondern faschistische Vorstellungen", meint Batrićević über die Botschaft mancher Vertreter der Kirche dem STANDARD gegenüber. "Vor Gericht stehe aber nun ich, weil ich angeblich Hass und Intoleranz verbreite."

Protest vor dem Gericht

Obwohl über zwanzig NGOs in Montenegro die Staatsanwaltschaft aufgefordert hatten, das Verfahren fallenzulassen, stehen Batrićević weitere Prozesstage bevor. Ende Jänner kamen allerdings hunderte Bürgerinnen und Bürger zu seiner Unterstützung vor das Gerichtsgebäude. Sie hielten Transparente mit der Aufschrift "Wir wollen keine Theokratie" in den Händen.

Batrićević warnt davor, dass die serbisch-orthodoxe Kirche auch die Interessen des Kreml durchsetzen könnte. Seit dem Machtwechsel in Montenegro nehme der Einfluss russischer Geschäftsleute zu, meint er. Dejan Vukšić, ein Anwalt russischer Geschäftsleute, wurde vorübergehend sogar Direktor der Nationalen Sicherheitsagentur und ist zurzeit Berater von Präsident Jakov Milatović. Zahlreiche Politiker von Pro-Kreml-Parteien, die auch dem serbischen Regime nahestehen, nehmen nun wichtige Positionen in Ministerien und öffentlichen Unternehmen ein. Sie könnten Ende des Jahres in der Hierarchie noch weiter aufsteigen – dies sieht der Koalitionsvertrag vor.

Der Kreml versuche wegen der Nato-Mitgliedschaft Montenegros mit allen möglichen Mitteln das Land zu destabilisieren, glaubt Batrićević. Und das serbische Regime unter Vučić versuche die Unabhängigkeit Montenegros, Bosnien und Herzegowinas und des Kosovo zu untergraben, um Serbien zu einer Regionalmacht zu machen.

Kontrolle über Medien

Ein wichtiger Faktor, um dieses Ziel zu erreichen, sei die Kontrolle über die Medien, die ihre redaktionelle Haltung bereits zugunsten der Narrative der serbischen Regierung geändert hätten. Auch in der Wirtschaft, etwa im Hafen von Bar, oder in der Stromversorgung seien diese politischen Präferenzen mittlerweile zu bemerken, meint Batrićević. Die nationale Fluggesellschaft Montenegro Airlines wurde von der neuen Regierung aufgelöst, ein Abkommen begünstigt das serbisch-orthodoxe Patriarchat in Belgrad. Und vor knapp einem Jahr errichtete in Montenegro – trotz der Sanktionen gegen Russland – der russische Wodkaproduzent Beluga eine Produktionsstätte. Der Metropolit der serbisch-Orthodoxen Kirche in Montenegro, Joanikije Mićović, spricht von Montenegro sogar als "der kleinen Ukraine", das Land müsse zu den serbischen Wurzeln zurückkehren.

Nicht nur solche Ansagen machen prowestlich orientierten Montenegrinern Angst, es gibt Versuche, Montenegro – so wie man das seit Jahrzehnten mit Bosnien und Herzegowina macht – als ein dysfunktionales Land darzustellen, das dann in der Folge zu einer vermeintlichen "Stabilisierung" Serbien untergeordnet werden soll. Dazu passt auch der Vorschlag analog zu Bosnien und Herzegowina, Serben in Montenegro zu einem konstituierenden Volk zu erklären und ein ethnoföderales System zu errichten, wie dies den Nationalisten in Bosnien und Herzegowina zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger vor 30 Jahren gelungen ist. Bislang wurden diese Versuche abgewendet. Aber man kann davon ausgehen, dass es noch viele weitere Pläne und Ideen zur Schaffung der "serbischen Welt" gibt. (Adelheid Wölfl, 5.2.2024)