Einem Forschungsteam in den USA ist es gelungen, das Gehirn eines Schweines vom Blutkreislauf des Tieres zu trennen und das Organ mithilfe eines neuentwickelten Gerätes fünf Stunden lang gleichsam isoliert vom Körpers am Leben zu erhalten. Kernstück des neuen Systems ist eine spezielle Pumpe – eine Art Herz-Lungen-Maschine –, die das Organ über einen längeren Zeitraum hinweg mit Blut versorgen kann. Die Wissenschafter haben die Technik nun im Fachjournal "Scientific Reports" vorgestellt.

Gehirn
Eine Hälfte eines menschlichen Gehirns, gehalten von einer Mitarbeiterinder neuropsychiatrischen Abteilung des Universitätsspitals von Genf. Ein Schweinegehirn konnte nun in den USA unabhängig vom Blutkreislauf des Körpers am Leben erhalten werden.
Foto: REUTERS/Denis Balibouse

Algorithmus steuert Blutfluss

Um einen realistischen Kreislauf zu imitieren, verändert das Gerät die Zusammensetzung des verwendeten Blutes auf subtile Weise. Darüber hinaus steuert es eine ganze Reihe von Variablen des Blutflusses, darunter den Blutdruck, Volumen, Temperatur, Sauerstoff- und Nährstoffversorgung. Grundlage dieser Technologie ist ein Computeralgorithmus, der all diese Faktoren fortlaufend im Auge behält und gegensteuert, wo es notwendig ist.

Getestet wurde das Gerät an den Gehirnen von Hausschweinen (Sus scrofa domesticus). Nachdem man das Organ chirurgisch vom Blutkreislauf des Versuchstieres getrennte hatte (es blieb dabei im Schädel des Schweins), wurden es an das künstliche Versorgungssystem angeschlossen. Wie gut es den Gehirnen dabei ging, wurde mittels kontinuierlicher Elektrokortikografie und Tiefenelektrodenaufzeichnungen überwacht.

Kaum veränderte Hirnaktivität

Auf den ersten Blick erwies sich die Methode als erfolgreich: Wie Juan Pascual und sein Team von der University of Texas berichteten, veränderten sich die Hirnaktivität und andere Messwerte bis zu fünf Stunden nach der Isolierung des Gehirns vom restlichen Körper des Tieres nur geringfügig bis gar nicht.

"Diese neuartige Methode ermöglicht Forschungen, die sich auf das Gehirn unabhängig vom Körper konzentrieren. Das System erlaubt es uns, physiologische Fragen auf eine Weise zu beantworten, wie es bisher noch nicht möglich war", sagte Pascual. Unter anderem könne man damit herausfinden, wie bestimmte Aspekte des Gehirns unabhängig vom Einfluss des Körpers funktionieren, so der Neurologe vom Southwestern Medical Center der Universität.

Blutzuckerforschung ohne Körper

Die Forschenden haben ihr System unter anderem eingesetzt, um die Auswirkungen von niedrigem Blutzucker auf das Gehirn zu untersuchen. Dies sei bei typischen Tiermodellen oft schwierig zu beurteilen, erklärten die Wissenschafter. Das größte Problem sei dabei, dass der Körper eine Unterzuckerung teilweise kompensieren kann, indem er den Stoffwechsel verändert, was wiederum das Gehirn beeinflusst. Ohne den Körper jedoch kann es nicht zu einer solchen Rückkoppelung kommen.

Doch auch auf einem anderen Gebiet lässt sich die Technologie sinnvoll einsetzen: Die Forscher sind auch daran interessiert, das Gerät als kardiopulmonales Bypass-System zu verwenden. Als "Herz-Lungen-Maschine" könnte es etwa bei Herzoperationen und Transplantationen den Blutfluss in idealer Weise aufrechterhalten. Das Gerät sei bereits patentiert worden, um seine Wirksamkeit für diese Aufgabe zu testen, so Pascual.

Das denkende Gehirn im Glas wird trotzdem noch eine Weile auf sich warten lassen. Dieses Gehirn hier steht im Science Museum London und hat zu Lebzeiten Gewaltiges geleistet: Es saß bis vor 153 Jahren im Schädel von Charles Babbage, der im 19. Jahrhundert den Vorläufer des modernen Computers entwickelt hat.
Foto: Jon Callas/Science Museum London

Gruselige Kopfverpflanzungen

Das Forschungsteam ist nicht das erste, das mit der Idee spielt, Gehirne von Körpern zu isolieren oder ganze Köpfe zu verpflanzen. So sorgte der italienische Neurochirurg Sergio Canavero für erwartbares Aufsehen, als er 2013 ein Projekt vorstellte mit dem Ziel, einem Menschen den Kopf abzutrennen und auf einen anderen Körper zu übertragen.

Das Vorhaben könne nach Angaben des Wissenschafters vor allem Menschen helfen, die an degenerativen Erkrankungen der Muskulatur und der Nerven oder Krebs leiden. Entsprechende Experimente an Tieren sollen bereits in den 1950er-Jahren zumindest teilweise geglückt sein. So führte beispielsweise der sowjetische Chirurg Wladimir Demichow 1954 solche Operationen an Hunden durch. Der Forscher verpflanze dabei den Kopf und die Vorderbeine eines Welpen auf den Rücken eines ausgewachsenen Schäferhundes. Die bedauernswerten Geschöpfe überlebten allerdings nur wenige Tage.

Neun Tage Horror

Ähnliche Versuche wurden auch in den USA durchgeführt: Robert White von der Case Western Reserve University School of Medicine in Cleveland, Ohio, verband 1970 den Kopf eines Affen mit dem Körper eines anderen. Das Tier erlitt dadurch zwar eine hohe Querschnittlähmung, weil das Rückenmark unterbrochen blieb. Dennoch überlebte der Affe bei vollem Bewusstsein neun Tage lang, ehe eine Immunreaktion schließlich das fremde Gewebe abstieß. (tberg, 6.2.2024)